Thema: Langsam fühle ich Platzangst  (Gelesen 8255 mal)

echidna

« Antwort #45 am: 10. Februar 2021, 14:00 »
Das mag ja alles stimmen, aber ich kenne mittlerweile mehr Leute, die ernste psychische Probleme haben aufgrund der ganzen Einschränkungen.
Ich persönlich sehe die Sache inzwischen als quasi doppelt Betroffener von zwei Seiten und kann irgendwie beide Sichtweisen verstehen:
1. Sichtweise: mein langjähriger Freund und Reisepartner kämpft seit inzwischen über einem Monat wegen einer sehr schweren COVID-Infektion ums Überleben, obwohl er erst 52 Jahre alt ist (er ist also kein alter Mann). Dementsprechend muss ich sagen: eine Infektion kann absolut fatale Folgen haben, wenn man Pech hat. Und das hängt weniger am Alter als man denken würde.

2. Sichtweise: ich habe zunehmend mit ernsten psychischen Problemen wegen der endlosen Lockdowns zu kämpfen. Paradoxerweise hat das zum Teil auch mit dem bedenklichen Gesundheitszustand meines Freundes zu tun: es belastet mich enorm, ihn möglicherweise zu verlieren, und die strengen Lockdown-Restriktionen verhindern, dass ich meine Ängste und Sorgen irgendwie kompensieren könnte. Ich kann letztlich nicht viel mehr tun, als Spaziergänge zu machen, was bei dem eiskalten Wetter nur bedingt möglich ist. In den letzten Wochen ist es mir zum Teil psychisch so schlecht gegangen, dass ich zuletzt sogar bei einer Psychiaterin vorstellig geworden bin, weil ich oft tagelang kaum noch klar komme. Doch auch was Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen mit psychischen Belastungen betrifft, wurde vieles einfach gestrichen oder ausgesetzt. Selbsthilfegruppen und vieles mehr können sich nicht treffen, und man scheint zu denken, das wäre nicht weiter tragisch für die Betroffenen. Psychiatrische und psychosomatische Kliniken haben zum Teil Aufnahmestopps, was aber für ernsthaft psychisch Erkrankte auch gefährlich werden kann, wenn ihnen keine Hilfsangebote gemacht werden.

Ich selbst muss sagen: auch ich erlebe immer wieder Phasen mit echter Platzangst. Ich fühle mich in meiner kleinen Wohnung wie in einer Einzelzelle, fühle mich psychisch wie in einem Schraubstock und wache nachts mit Panikattacken auf. Dann würde ich normalerweise vielleicht einen Spaziergang um den Block machen - geht aber nicht, weil wir ja eine nächtliche Ausgangssperre haben. Und wenn ich mir dann bewusst mache, dass ich nicht ohne weiteres nach draußen gehen darf, dann drehe ich wirklich manchmal am Rad....

Surfy

« Antwort #46 am: 10. Februar 2021, 14:48 »

@echidna: mein Beileid. Ich würde mir an Deiner Stelle etwas suchen, ein Projekt was mich total auslastet.

- PC/Kosolen Gaming erwerben und ein knaller Online-Game starten (alles nur kein WOW)
- Massively Multiplayer Online Role-Playing Game anfagen ala Ogame (geht im Webbrowser)
- Beliebiges Projekt in aller Tiefe durchplanen "zu Fuss um die Welt, was brauch ich dazu?" oder welche Fahrzeug?
- Buch schreiben (bsp Biografie).
- Spezialisiere Dich für auf ein beliebiges Wissenschaftliche Thema
- Bestelle und lese spannende Bücher (Kindle).

Für alles genannte kann man problemlos 3 Vollzeit-Monate versenken - und es hätte Potential für mehr, wenn man wirklich alle Eventualitäten, Professionalität oder Recherchetiefe abdecken möchte. Es muss Dich einfach nur richtig triggern - und schon freust Du dich riesig über jede Minute die Du daran sitzen kannst.



echidna

« Antwort #47 am: 10. Februar 2021, 14:54 »
- Buch schreiben (bsp Biografie).
- Spezialisiere Dich für auf ein beliebiges Wissenschaftliche Thema
Vielen Dank für die Tipps. Am ehesten kämen noch diese zwei Tipps in Frage. Das wichtigste für mich ist auf jeden Fall: nicht (nur) online - je länger der Lockdown dauert, umso mehr regen mich reine Online-Aktivitäten auf. Für mich ist es absolut essenziell, draußen im Freien außerhalb meiner Wohnung sein zu können. Also kämen beispielsweise Fotoprojekte in Frage (Fotografieren der eigenen Stadt im Lockdown, oder sowas). Oder eben ein anderes Thema, für das ich außerhalb meiner Wohnung recherchieren muss (z.B. indem ich Erkundungen in der Stadt oder in der Umgebung anstellen muss).

BeenAroundTheWorld

« Antwort #48 am: 10. Februar 2021, 15:36 »
Es gibt natürlich viele Gründe aktuell nicht zu reisen, für manch einen mag es auch unmöglich sein. Bei mir hält sich dich „Platzangst“ in Grenzen, da ich doch einige Reisen in der Coronazeit gemacht habe. Es waren viel weniger als sonst und am liebsten würde ich auch morgen wieder los. Es gibt ja durchaus noch Ziele, wo man aktuell hinreisen kann. Ich habe den Überblick verloren, aber zb Sri Lanka und Uganda gehen glaube ich sogar ohne Quarantäne bei Rückreise. Aber auch mit Quarantäne lässt sich ja noch reisen. Daher mal ganz platt gefragt, warum reist ihr denn nicht wenn ihr Platzangst und teilweise ernsthafte psychische Probleme zu Hause bekommt?

echidna

« Antwort #49 am: 10. Februar 2021, 15:46 »
Daher mal ganz platt gefragt, warum reist ihr denn nicht wenn ihr Platzangst und teilweise ernsthafte psychische Probleme zu Hause bekommt?
In meinem konkreten Fall liegt es natürlich auch am gesundheitlichen Zustand meines Freunds und Reisepartners. Ich möchte einfach hier in der Nähe bleiben, solange unklar ist, wie es bei ihm weitergehen wird.

BeenAroundTheWorld

« Antwort #50 am: 10. Februar 2021, 16:00 »
Das ist natürlich absolut verständlich. Gute Besserung an Deinen Freund!

dirtsA

« Antwort #51 am: 10. Februar 2021, 17:12 »
@echidna - danke für deinen offenen und ehrlichen Bericht! Damit zeigst du auf, dass es eben nicht so einfach ist, wie manche es hier darstellen wollen. Ich hoffe, du findest bald ein interessantes Projekt und wie überstehen diesen Lockdown alle irgendwie. Und für deinen Freund halte ich alle Daumen gedrückt!

Zitat
Daher mal ganz platt gefragt, warum reist ihr denn nicht wenn ihr Platzangst und teilweise ernsthafte psychische Probleme zu Hause bekommt?
1. Social pressure, v.a. im Arbeitsumfeld. Bin mir auch nicht sicher, ob meine Chefin mir so einfach einen Urlaub genehmigen würde momentan. Es müsste wohl auch ein zumindest 1-wöchiger Urlaub sein, denn...
2. Brauche ich 2 Corona-Tests mit negativem Resultat für die Rückkehr nach NL. 72h alten PCR-Test und direkt vor dem Abflug Schnelltest. Diese Tests sind ja nach Land teuer, als Tourist schwierig zur organisieren, man kann sich nicht verlassen, dass die Resultate rechtzeitig da sind und der Schnelltest bringt oft fälschlich-positive Ergebnisse (soweit ich weiss). Wenn einer der Tests positiv ausfallen würde, würde man im Urlaubsland feststecken, müsste selbst einen extra Rückflug später buchen, hätte evtl. mit der Arbeit Probleme (liesse sich evtl. noch organisieren), müsste sich auf das Gesundheitssystem in dem Land verlassen können (Stichwort Sri Lanka, Uganda) etc.

-> Bei mir ist es momentan nicht so schlimm, daher will ich mir die in 2. genannten Punkte gar nicht erst antun und versuchen mit 1. klarzukommen bzw. eine Genehmigung von meiner Chefin zu bekommen.

Ist halt leider alles nicht so einfach momentan. Wenn ich kurzfristig arbeitslos wäre (könnte sein), würde 1. wegfallen und ich würde mich bezüglich der in 2. genannten Punkte einlesen und evtl. ein Land finden können, was machbar ist. Könnte sein, dass das schon im März der Fall sein wird, wir werden sehen.

@BeenAroundTheWorld - ihr wart doch gerade mal in Mexiko, oder? Kannst du (vielleicht in einem anderen Mexiko-spezifischen ;) ) Thread vielleicht mal ein bisschen berichten? Gerade was Corona-Einschränkungen, Massnahmen, evtl. PCR Tests etc betrifft würde mich die momentane Situation interessieren.

Kama aina

« Antwort #52 am: 10. Februar 2021, 20:51 »
Also wenn man wirklich unbedingt eine Reise machen will, dann kann ich aktuell wirklich die Kanaren Kreuzfahrten empfehlen.
Bei der Mein Schiff Flotte kann ich auch aus eigenen Erfahrungen berichten, dass das Sicherheits- und Hygienekonzepte sehr gut funktionieren und auch Lagebedingt angepasst werden!
Z. B. werden jetzt die PRC Test etc. vor Abreise nach Hause auf dem Schiff angeboten. Da sollten einige Probleme mit gelöst sein!

Denke das es bei AIDA und Hapag Llyod ähnlich sein wird.

hosep

« Antwort #53 am: 10. Februar 2021, 22:58 »
@echidna Ich hätte noch eine Sprache lernen als Tipp parat. Steigert auch gleich die Vorfreude auf evt. nächste Reisen. Außerdem Sport. Sport ist der absoluter Booster und hat mich schon durch so manch schwierige Phase begleitet. Es gibt viele Übungen, die man mit dem eigenen Körpergewicht durchführen kann. Alternativ Yoga?

Deinem Freund wünsche ich alles Gute!

@dirtsA Im Flieger füllst du ein Gesundheitsformular aus, das dauert 2 Minuten. Bei der Einreise bekommst du dann ein Touristenvisa für 180 Tage ausgestellt. Nach der Immigration wird noch Fieber gemessen und das war´s dann. Kein PCR-Test, Quarantäne nur mit erhöhtem Fieber.

Landesweite Maßnahmen sind Fieber messen an Eingängen von Busbahnhöfen, Supermärkten, Hotels, manchen Restaurants und Hände desinfizieren sowie Maskenpflicht. Masken werden auch draußen getragen, jedoch ist dies keine Pflicht.
Die Maßnahmen werden jedoch unterschiedlich stark umgesetzt. Insgesamt geht alles sehr sporadisch zu.

Wenn man ernsthafte Bedenken hat sich mit dem Virus zu infizieren oder zu erkranken, sollte von einer Reise nach Mexiko abgesehen werden.

Railjeter

« Antwort #54 am: 11. Februar 2021, 08:17 »
Ich persönlich sehe die Sache inzwischen als quasi doppelt Betroffener von zwei Seiten und kann irgendwie beide Sichtweisen verstehen:
Geht mir so ähnlich! Einen meiner Reisekumpel hatte es auch schwer erwischt, aber inzwischen ist für ihn auch Reisen wieder ein Thema. Die Behandlung dauerte aber auch bei ihm länger! Also Daumendrücken!

Ich versuche das beste aus der Situation zu machen, denn Trübsal blasen bringt nichts.
So genieße ich die nähere Umgebung (inklusive Park und Wald) und entdecke immer wieder Neues, Schönes und Interessantes. Oder ich fahre mal einige Stationen mit der Tram oder Bahn.
Bin gerne auf Youtube und schaue mir die vielen schönen und interessanten Reiseberichte und Musikvideos an.
Aktuelle Nachrichten und der tägliche Corona-Wahnsinn verfolge ich nur noch am Rande.
Und ich plane Reisen oder fahre meine Reisen virtuell im WWW nach.
Allerdings ohne jede Absicht in der derzeitigen Situation eine Reise ernsthaft in Betracht zu ziehen.
Dazu ist mir die weltweite Lage derzeit zu instabil und kann auf diese Art von Abenteuerurlaub verzichten. ;)


echidna

« Antwort #55 am: 11. Februar 2021, 08:34 »
@echidna Ich hätte noch eine Sprache lernen als Tipp parat. Steigert auch gleich die Vorfreude auf evt. nächste Reisen. Außerdem Sport. Sport ist der absoluter Booster und hat mich schon durch so manch schwierige Phase begleitet. Es gibt viele Übungen, die man mit dem eigenen Körpergewicht durchführen kann.
Sprachen lerne ich auch gern, das ist eines meiner Hobbys. Was Sport betrifft, warte ich noch auf wärmeres Wetter. Meine eigene Wohnung ist einfach zu klein, um mich körperlich auszutoben. Außerdem bin ich einfach ein sehr aushäusiger Mensch, der sich außerhalb der Wohnung bewegen muss, um sich wohlzufühlen. Meine sportlichen Aktivitäten bestehen momentan hauptsächlich aus mehr oder weniger langen Spaziergängen, soweit und solange es halt möglich ist.

BeenAroundTheWorld

« Antwort #56 am: 11. Februar 2021, 09:09 »

@BeenAroundTheWorld - ihr wart doch gerade mal in Mexiko, oder? Kannst du (vielleicht in einem anderen Mexiko-spezifischen ;) ) Thread vielleicht mal ein bisschen berichten? Gerade was Corona-Einschränkungen, Massnahmen, evtl. PCR Tests etc betrifft würde mich die momentane Situation interessieren.

Genau. Wir waren Ende des Jahres für 3 Wochen in Yucatan. Werde zeitnahe etwas dazu schreiben.

dirtsA

« Antwort #57 am: 11. Februar 2021, 15:51 »
@hosep - danke für die Infos! Das klingt ja fast nach "normalem Leben" ;D ::)

@BeenAroundTheWorld - hosep hat oben schon ein paar Infos geschickt zu Mexiko. Wenn du noch mehr erzählen kannst, freue ich mich aber natürlich! :)

@Railjeter - ich bewundere dich ja, dass du dich so mit dem Thema "Reisen" beschäftigen kannst ohne Aussicht auf eine schöne Reise in naher Zukunft. Mich zieht das meistens ja eher runter... dann wird das Fernweh noch schlimmer... Manchmal kann ich auch positiv auf die tollen Erinnerungen zurückblicken, aber z.B. meinen Blogbeitrag über unsere Italien-Reise im September habe ich aus diesen Gründen immer noch nicht geschafft zu schreiben...

Jessy83

« Antwort #58 am: 18. Februar 2021, 20:39 »
Als Nachtrag zu den ersten Beiträgen in diesem Thread:
Als Psychologin bin ich sowohl ambulant als auch in der Akutpsychiatrie (Patienten ab 60 wohlgemerkt, nicht mal die Jungen) tätig... ich sehe wirklich viele die eben genau durch die Einschränkung depressiv/suizidal/rückfällig etc. werden. Es sind viel weniger Patienten, die aus Angst vor Ansteckung auflaufen als solche denen die Ressourcen und der Ausgleich verloren gegangen sind...
Die Jungen haben immer noch mehr Möglichkeiten des Ausgleichs zb über Job und Internet als viele ältere Patienten. Nicht dass denen nicht auch die Decke auf den Kopf fällt (von den Auswirkungen auf Kinder mal ganz zu schweigen), aber den älteren und Alten läuft tatsächlich auch die Lebenszeit davon.

echidna

« Antwort #59 am: 19. Februar 2021, 08:54 »
Ich muss zugeben, dass ich psychisch allmählich tatsächlich am Rad drehe. Zum einen belasten mich die Sorgen um meinen Reisepartner massiv, der immer noch auf der Intensivstation liegt und um sein Leben ringt. Und die nicht enden wollenden Lockdown-Maßnahmen verhindern die meisten der Kompensationsmöglichkeiten, die ich "im Normalfall" sonst ergreifen würde, und mit denen ich mich ablenken könnte. Stattdessen bin ich mit meinen Sorgen und Ängsten total auf mich selbst zurückgeworfen, und ich weiß immer weniger damit umzugehen. Nachts bekomme ich zunehmend Panikattacken, auch tagsüber hatte ich schon eine Synkope (kurzzeitiger Verlust des Bewusstseins).

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