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Amerika / Antw:St Kitts und Nevis
« Letzter Beitrag von GschamsterDiener am 18. April 2024, 22:13 »
Klingt verlockend! Gibt es auf St Kitts die Möglichkeit einen Roller zu mieten bzw. würde das aus deiner Sicht Sinn machen?
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Reiseberichte / Antw:Ostern im Osten - Baltikum 2024
« Letzter Beitrag von Kaamos am 18. April 2024, 22:13 »
Samstag, 06.04.2024

Abschiedstag ist immer doof… insbesondere dann, wenn man noch auf einen Zug warten muss. Ab hier müssen wir in entgegengesetzte Richtungen, M. nach Klagenfurt und ich nach Potsdam. Eigentlich ist noch Zeit bis zur Abfahrt, aber so richtig Ruhe, etwas ernsthaft zu unternehmen, hat man nicht mehr. Wir laufen trotzdem noch einmal durchs Zentrum, schauen diesmal auch in die Kathedrale rein, schlendern über den Kohlmarkt und trinken noch einen Kaffee…


Ich hab das Gefühl, da oben guckt gleich einer hinter der Stele vor und ruft "guckuck"

Auch am Rathaus gibt es noch einen kurzen Fotostopp. Es ist eines der ältesten Gebäude Brünns. Auffällig ist das schiefe Türmchen über dem Portal. Angeblich war der Baumeister nicht mit seiner Bezahlung einverstanden. Als die Stadt auch bei Nachverhandlungen keine Zugeständnisse machte, baute er einfach schief weiter. Außerdem hat Brünn einen Drachen! Der hängt im Durchgang unterm Rathausturm. Der Legende nach lebte in der Nähe von Brünn ein Drache, der die Bürger der Stadt in Angst und Schrecken versetzte und die Nutztiere verschlang. Der Rat der Stadt setzte deshalb eine Belohnung für die Tötung des Drachen aus, es gelang aber niemandem, bis ein gewitzter Ritter eine Idee hatte. Er wickelte ungelöschten Kalk in eine Kuhhaut und legte es als Köder für das Monster aus. Anschließend wartete er, bis der Drache den Köder verschlang und etwas trank. Als der Kalk nun gelöscht wurde, platzte der Drache und war somit erlegt. In Wirklichkeit handelt es sich bei dem „Brünner Drachen“ um ein Krokodil, das der Stadt Brünn vom ungarischen König Matthias II., der sich mit seinem Bruder, dem Kaiser Rudolf II., im Streit um den Thron des Heiligen Römischen Reiches befand, im Jahre 1608 zum Geschenk gemacht wurde. Matthias versuchte durch kleine Aufmerksamkeiten die mährischen Stände und Städte auf seine Seite zu ziehen.



Wenn man schon in Brünn ist, muss man auch einmal über Gregor Mendel sprechen. Dem Augustinerpriester ist hier ein ganzes Museum gewidmet. Für einen Besuch ist leider keine Zeit mehr, aber wir sitzen zumindest mal im Hof. Mendel gilt als Vater der Genetik. Durch Kreuzungsexperimente mit Erbsenpflanzen lüftete er im 19. Jahrhundert die Geheimnisse der Vererbung. Seine Mendelschen Regeln, die dominante und rezessive Merkmale sowie deren unabhängige Weitergabe beschreiben, bilden die Basis der modernen Genetik und beeinflussen bis heute Bereiche wie Landwirtschaft und Medizin.



Aber dann ist es doch noch soweit: unsere Wege trennen sich. Wir verabschieden uns am Bahnsteig und ich besteige den EC Hungaria, der aus Budapest kommt und noch bis Hamburg weiter will. Die Fahrt über Mittag: sonnig und flach. Die Fahrt am Nachmittag: sonnig und bergig. Im schnellen Ritt geht es vorbei an Prag und Decin und auch die Basteibrücke im Elbsandsteingebirge strahlt in der Sonne. Und als dann doch der kleine Hunger kommt, kann der Speisewagen gut Abhilfe schaffen.







Punkt acht stehe ich schließlich zu Hause wieder auf der Türschwelle und fasse den ganzen Sermon jetzt einfach mal in zwei Worten zusammen: schön wars.




Und wie immer: Vielen Dank für die Geduld und das Mitkommen :)
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Reiseberichte / Antw:Ostern im Osten - Baltikum 2024
« Letzter Beitrag von Kaamos am 18. April 2024, 22:11 »
Freitag, 05.04.2024

Das Schöne an Appartements ist, das man sich den Preis teilen kann. Nur leider gibt es in der Regel kein Frühstück dazu. Andererseits kann man sich so super durch die Cafés schlemmen und Dinge wie French Toast mir gebackener Banane essen.

Und es ist ganz gut, nicht auf nüchternen Magen in den Tag zu starten, insbesondere bei unserem nächsten Ziel. Nach Majdanek tun wir uns jetzt noch das zweite KZ an, das auf dem Weg liegt. Es ist nicht schön, aber einmal sollte man in Auschwitz gewesen sein. Bei mir wird's sicher irgendwann zweimal werden, denn heute schauen wir nur am Rande. Mehr können wir gerade emotional nicht aufnehmen.
U.a. an der ehemaligen Verladerampe sehen wir noch zwei alte Waggons stehen.

Beim Stammlager Auschwitz I mit dem bekannten Arbeit-macht-frei-Schriftzug halten wir nur kurz, ohne rein zu gehen. Es ist rappelvoll. Genauso später bei Auschwitz II (KZ Auschwitz-Birkenau). Das hat leider sehr die Atmosphäre gestört, da es mehr wie eine Gedenkindustrie wirkt, ein Jahrmarkt des Grauens. Aber wahrscheinlich geht es nicht anders, wenn man dem Anspruch gerecht werden will, so vielen Menschen wie möglich das Erinnern zu ermöglichen. Majdanek hingegen ging durch die Stille und Leere und das kleine Grüppchen Juden sehr unter die Haut.





So hängen wir dann bei der Weiterfahrt erst einmal den eigenen Gedanken nach und lassen unsere letzten Zloty in Bielsko-Biala beim Kaffee zurück. Und dann tauchen doch plötzlich Berge vor uns auf. Nach zwei Wochen plattem Land ist das gewöhnungsbedürftig. Aber natürlich ist die Grenze nach Tschechien kein Problem. Ein Hoch auf Schengen.



Im letzten Jahr bin ich ja schon teilweise auf Napoleons Spuren gereist, dass es jetzt so weiter geht, damit habe ich nicht gerechnet. Aber zufällig entdecken wir, dass nahe Brünn die Schlacht von Austerlitz stattfand, die Drei-Kaiser-Schlacht. Da müssen wir natürlich hin! Am 02.12.1805 besiegte Napoleon hier die vereinigten Armeen von Russland und Österreich, was ihm die Vormachtstellung in Europa sicherte. Die Schlacht ist eine der bedeutendsten der Geschichte und gilt als Meisterwerk der Militärstrategie. Auf dem Pratzeberg wurde 1912 der „Grabhügel des Friedens“ eingeweiht, unter dem die auf dem Schlachtfeld gefundenen Gebeine bestattet sind. Auch nett: Im Dorf in der Nähe sitzt ein Hühnerhirte mit seiner "Herde" am Bahnübergang.



Bevor wir nun aber ins Brünner Zentrum fahren, kurven wir durch ein Wohngebiet auf der Suche nach einem UNESCO-Kleinod. 1930 ließ sich das Unternehmer-Ehepaar Fritz und Grete Tugendhat von Ludwig Mies van der Rohe ein Wohnhaus errichten, das heute als Architekturikone und Meilenstein der modernen Architektur gilt. Allerdings war es aufgrund der exklusiven Materialien und ausgefeilten Haustechnik extrem teuer. Die riesigen Fensterfronten ließen sich versenken, um das Haus zum Garten hin zu öffnen und allein die Onyxwand im Wohnzimmer wäre so viel wert, wie ein Einfamilienhaus zur damaligen Zeit. Die 5.000.000 Kronen Komplettbaukosten wären heute knapp 30.000.000€. Nach der Annektierung des Sudetenlandes verließ die jüdische Familie die „Resttschechei“ erst Richtung Schweiz und später nach Venezuela. Die Villa wurde von den Nazis beschlagnahmt und nach dem Krieg einem Kinderkrankenhaus angegliedert, worunter die bauliche Struktur natürlich enorm gelitten hat. Erst ab den 1960er Jahren begann sich die Brünner Kulturszene für eine Instandsetzung der Villa stark zu machen - allerdings lange Jahre erfolglos. 1992 wurde in der Villa Tugendhat der Vertrag über die Teilung der Tschechoslowakei unterzeichnet. 2012 war die Restaurierung abgeschlossen. Allerdings wurden nie Anstrengungen unternommen, das Haus den rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben.



Wir laden schnell das Gepäck in der Unterkunft ab und machen uns gleich wieder auf die Socken - Brünn hat ja auch ‘ne Altstadt, die erkundet werden will. Es gibt noch ein paar barocke Stadtpaläste, vieles aus der k.u.k.-Zeit um die Jahrhundertwende, aber auch etliche Bauwerke des mährischen Funktionalismus, weswegen Brünn auch als Tel Aviv des Nordens bezeichnet wird. Von den Städten, die wir auf dieser Tour besucht haben, macht Brünn allerdings den ungepflegtesten Eindruck. Mir sind auch etliche Arme und Obdachlose aufgefallen. Am Kohlmarkt genießen wir die letzten Sonnenstrahlen mit Tee und Törtchen.



So ganz die letzten Strahlen waren es doch noch nicht. Jetzt steht die Sonne gerade richtig, um ein schönes Altstadtpanorama zu bekommen. Dafür erklimmen wir den Spielberg, auf dessen Spitze sich die gleichnamige Festung befindet. Ursprünglich böhmische Königsburg, Sitz des mährischen Markgrafen, Festung, Kaserne… und schließlich berüchtigtes Gefängnis. Hier wurden die gefährlichsten Verbrecher des Habsburgerreiches inhaftiert.



Die Abendessensuche gestaltet sich schwieriger als gedacht. Ein traditionelles tschechisches Restaurant finden wir nicht auf Anhieb - viele Italiener, Burger, Cafés und Kneipen … Letzten Endes bleiben auch wir in einer Bierstube hängen, werden aber ausgezeichnet mit Beefsteak Tatar und Knödeln versorgt, von denen eine ganze Kompanie satt werden könnte. Aber lecker war’s. Und ein Ständchen gab‘s obendrein von der trinkfesten Männerrunde.

Mit Brünn verbinde ich als alter Numismatiker natürlich die Stadtsilhouette mit der Kathedrale. St.-Peter-und-Paul sieht in seiner gotischen Form eigentlich nach finsterstem Mittelalter aus, aber der Schein trügt. Zwar liegen die Anfänge der Kirche tatsächlich im 12. Jh., aber nach massiven Zerstörungen im Dreißigjährigen Krieg wurde sie als barocke Basilika mit verstümmelten Türmen wieder hergestellt. Die gotische Form hat sie tatsächlich erst im 20. Jh. wieder erhalten. Auf jeden Fall macht sie was her, besonders nachts.



Und zu guter Letzt erreichen wir jetzt natürlich wieder unsere Unterkunft. Heute übernachten wir im Bunker direkt unterm Spielberg. Im zweiten Weltkrieg wurde er als Luftschutzbunker errichtet und bis 1959 zum Atombunker erweitert. Er bot 500 Personen der Brünner Elite für drei Tage Schutz. Wir sind weder Elite, noch bleiben wir so lange. Es war ein schauriges Erlebnis. M. bekommt die Krankenstation und ich das Zimmer des Polizeichefs. Es liegt eine klamme Kühle in der Luft, aber die Armeeschlafsäcke halten warm.

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Reiseberichte / Antw:Ostern im Osten - Baltikum 2024
« Letzter Beitrag von Kaamos am 18. April 2024, 22:11 »
Donnerstag, 04.04.2024

Ratatatata... Wie 'ne Waschmaschine im Schleudergang klingt es auf einmal, als wir Lublin verlassen. Einige Mechaniker klappern wir ab, der dritte kann uns dann helfen. Er meint, bis 13:00 ist das Auto wieder flott. In der Zwischenzeit drückt er uns seine eigenen Autoschlüssel in die Hand und wir fahren zum nächsten Supermarkt Kaffeetrinken. Um 12 kommt die SMS: „Do zobaczenia za 30 minut.“ - Wir sehen uns in 30 Minuten. Der Bremssattel war hinüber. Aber die Polen kennen sich mit Autos aus. Für 1/3 des deutschen Preises sind wir wieder flott!



Wir kommen zwar verspätet los, aber die Fahrt geht erstaunlich flott. Dabei explodiert neben uns die Natur unter großartiger Wolkenkulisse.
Sogar unseren ursprünglichen Plan, das Salzbergwerk in Wieliczka zu besuchen, schaffen wir. Mehr noch, wir sind ausreichend zeitig vor der gebuchten Einlasszeit vor Ort, dass genügend Zeit für ein paar Pierogi bleibt. Um fünf fahren wir dann ins Bergwerk ein. Nachdem wir erst unzählige Stufen hinabsteigen, geht es durch große Kavernen, die teils kunstvoll als Kapellen ausgeschmückt sind. Das Bergwerk ist nicht mit denen zu vergleichen, die ich aus dem Erzgebirge kenne. Die geräumigen Gänge unter Tage haben mich überrascht. Die Mine ist mittlerweile auch Weltkulturerbe. Nachdem oberirdische Solequellen Mitte des 14. Jh. versiegt waren, begann man mit dem Graben der Schächte. Die Salzförderung lief dann bis 1993, seitdem sind nur noch Touristen unter Tage. Allerdings sind nur ca. 1% der Mine für den Besuch freigegeben. Das reicht aber auch, denn insgesamt ist das Stollennetz so lang wie der Weg von Krakau nach Warschau. Wir erreichen auf der Touristenroute eine tiefe von ca. 145 m.



Anschließend geht es ins benachbarte Krakau. Nach dem Grauen in Majdanek besuchen wir hier noch ein Zeichen der Hoffnung, die Emailwarenfabrik von Oskar Schindler, wo dieser erst Kochgeschirr für die Wehrmacht und später Granatenhülsen gefertigt hat. Dabei gelang es ihm über 1.200 Juden vor dem Vernichtungslager zu retten, indem er sie als unabkömmlich Arbeiter deklarierte. In der berühmten Liste der Schindlerjuden gab er auch Frauen, Kinder und Akademiker als qualifizierte Metallarbeiter aus. Einen Transport von 300 Frauen konnte er noch von der Verladerampe in Auschwitz weg retten.



Krakau ist eigentlich viel zu sehenswert, um das an einem Abend abzuhandeln. Deswegen versuche ich es auch gar nicht erst. Zumal ich 2012 schon mit etwas mehr Zeit im Gepäck hier war. Einen kleinen Spaziergang durchs nächtliche Krakau gönne ich mir aber doch, während M. schon einmal die Beine im Appartement hoch legt. Jetzt nieselt es, aber die Straßen sind trotzdem noch voller Touris, auch noch kurz vor 23:00. Einmal um den Markt und zur Burg und schon ist Mitternacht vorbei.




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Reiseberichte / Antw:Ostern im Osten - Baltikum 2024
« Letzter Beitrag von Kaamos am 18. April 2024, 22:09 »
Mittwoch, 03.04.2024

Heute brechen wir zeitig auf, um schon am Mittag in Lublin sein zu können – wir haben einen wichtigen Termin!
Hier steht nämlich das Gegenstück zu dem Portal, das wir schon in Vilnius gesehen haben. Und da A. ja noch dort ist, haben wir uns, bevor sie in den Flieger steigt, noch einmal verabredet. Und tatsächlich: kurz nach 12 winken wir uns zu. Auch wenn es sehr pixelig ist, ist das schon eine nette Attraktion.



Ganz in der Nähe des Portals steht ein Obelisk. Er erinnert an die Union von Lublin, also die Vereinigung von Polen und Litauen 1569. Die so entstandene Adelsrepublik kürte ihren Herrscher durch Wahl. Das Staatswesen wurde Rzeczpospolita in Anlehnung an res publica genannt, womit sich Polen heute noch selbst beschreibt (Rzeczpospolita Polska). Damit ist allerdings nicht die im ursprünglichen Wortsinn „öffentliche Sache“ gemeint, sondern eher die „gemeinsame Sache“. Andere Republiken werden im Polnischen „Republika“ genannt.
 Im Selbstverständnis der Lubliner sehen sie sich als Vorläufer des europäischen Gedankens.





Lublin hatte ich bei der Planung eigentlich erst gar nicht auf dem Schirm, da sollte es via Lodz zurück nach Hause gehen. Nur durch ein bisschen bei Maps klicken und die dortigen Bilder sehend, hat es mich angelockt. Und ich muss sagen, ich bin begeistert. Die Stadt hat eine wirklich sehenswerte kleine Altstadt. Wir sind gerade pünktlich am Rathaus, um den Turmbläser zu hören.





Und auch die Lubliner selbst sind nett… M. wird plötzlich ohne erkennbaren Grund von einer Passantin angesprochen, ob wir etwas suchen, oder ob sie uns einen Tipp geben kann. Sie führt uns in einen Innenhof, wo sich ein wirklich entzückendes Lokal befindet. Französischer Montmartre-Charme mitten in Ostpolen. Hier gibt es Tee mit Rum zum Aufwärmen und leckere Galettes.



Etwas versteckt am Rande der Altstadt befindet sich das Dominikanerkloster. Wir staunen nicht schlecht, als sich die schweren Türen öffnen. Hier blitzt im funkelt es vor Blattgold, dass es eine wahre Freude ist. Zum Teil sind auch noch Stationen des Kreuzweges von den Osterfeierlichkeiten aufgebaut, so etwa ein leeres Grabtuch in einer Seitenkapelle.



Neben der Altstadt erstreckte sich einst das jüdische Viertel von Lublin. Im zweiten Weltkrieg wurde es komplett zerstört und nahezu alle Einwohner in den Tod geschickt. 2007 gab es noch 20 Juden in Lublin, im Gegensatz zu 42.830 im Jahr 1939 (damals 31% der Stadtbevölkerung). Es waren hauptsächlich Chassidim, also Ultraorthodoxe Juden, deren Glaubenslehre hier im 17. Jh. entstanden ist. Am Fuße des Schlossberges erinnert die Laterne des Gedenkens an das Viertel. Sie wird als ewiges Licht nie abgeschaltet.



Das Lubliner Schloss ist zwar ein „Neubau“ aus dem 19. Jh., geht aber in seinen Grundzügen auf das 12. Jh. zurück und ist somit eine der ältesten erhaltenen Residenzen Polens. Der damalige Wohnturm ist noch erhalten. Beim Besteigen müssen wir aufpassen, dass es uns nicht davon weht. Heftige Orkanböen ziehen über uns hinweg gen Baltikum. In Vilnius sind die Temperaturen in der Zwischenzeit um 20 Grad gefallen und es schneit. Da haben wir mit dem Wind noch richtig Glück, der schiebt die Wolken weg und wir haben Sonnenschein. Auf der Burg besuchen wir außerdem die Dreifaltigkeitskapelle. Auch sie stammt, wie der Turm, noch aus dem 14. Jh. und ist komplett mit original erhaltenen Fresken ausgestaltet - sehr beeindruckend! Insbesondere die byzantinisch-orthodoxe Darstellungsweise ist für das katholische Polen sehr ungewöhnlich.





Bei der Ankunft in Lublin sind wir heute Vormittag schon an der Chachmei Lublin Jeschiwa, einer jüdischen Hochschule, bzw. Talmudschule vorbeigekommen. Sie wurde 1930 erbaut und war damals die größte der Welt. Seit 2003 ist sie auch wieder im Besitz der jüdischen Gemeinde. Lublin wird als das polnische Jerusalem bezeichnet, bzw. „Shtot von toyre, rabbones und khsides“ Durch ein wenig Nachlesen auf der Hinfahrt wusste ich zwar, dass es in Lublin ein reges jüdisches (insbesondere chassidisches) Leben gab, aber trotzdem waren wir mehr als perplex, als wir im Vorbeifahren plötzlich eine große Anzahl orthodox gekleideter Juden auf der Straße sehen. Schwarze Mäntel, Bärte, Schläfenlocken, große Hüte, … damit haben wir nicht gerechnet. Wahrscheinlich war es allerdings eine Reisegruppe, da wir sie später noch in Majdanek getroffen haben.



Den Nachmittag verbringen wir vor den Toren Lublins. Hier befinden sich die Reste von Majdanek, erst Kriegsgefangenenlager, dann Konzentrationslager und schließlich Vernichtungslager. Die Opferzahlen schwanken zwischen 80.000 und 1.700.000. Aber jeder Mensch ist einer zu viel. Majdanek war im Juli 1944 das erste befreite KZ und schon im November 1944 wurde es als Gedenkstätte wiedereröffnet, das erste Museum überhaupt, das sich mit dem zweiten Weltkrieg befasst. Der Gang über das Gelände, durch die Baracken, die Gaskammern und das Krematorium war sehr bedrückend. Es ist unverständlich, wie es noch immer Menschen geben kann, die anzweifeln, dass der Holocaust je passiert ist.

Im Gelände begegnen wieder auch wieder der jüdischen Gruppe. Es ist ein komisches Gefühl und es ist mir deutlich unangenehm, an diesem Ort in ihrer Nähe zu sein. Ich weiß natürlich, dass ich für das Vergangene nicht verantwortlich bin, aber gleichzeitig auch in der Verantwortung stehe, damit sich so etwas nicht wiederholt.




Da macht es ein wenig Hoffnung, dass auch in einem Ort wie Lublin heute wieder ein bisschen jüdisches Leben ist. Am Marktplatz besuchen wir das jüdische Restaurant „Mandragora“. Die Bedienung ist herzlich und das Essen richtig gut!




Mandragora ist übrigens der Name der Alraune. Im Hohelied Salomons steigert Sulamith mit ihr die Liebesglut ihres Geliebten. Andererseits werden in der jüdischen Tradition der Wurzel der Alraune auch todbringende Folgen zugeschrieben... Da ich jetzt aber noch in der Lage bin, diese Zeilen zu verfassen, mag sich jeder selbst seinen Reim darauf machen...  :smiley_grinsen:
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Reiseberichte / Antw:Ostern im Osten - Baltikum 2024
« Letzter Beitrag von Kaamos am 18. April 2024, 22:08 »
Dienstag, 02.04.2024


Heute hängt die Fahne wieder am Turm :smiley_lachen:

Heute Vormittag nehmen wir A. noch mit zu unserem nächsten Ausflugsziel vor den Toren der Hauptstadt. Wir besuchen Trakai, die einstige Residenz der litauischen Großfürsten und eine Hauptsehenswürdigkeit Litauens. Das ist auch nicht verwunderlich, so malerisch, wie sie im See liegt. Bei der Parkplatzsuche werden wir gleich einmal auf ein Grundstück gewunken. 5€ für den ganzen Tag. Die Anwohner machen mit den zu erwartenden Besucherströmen ein gutes Geschäft. Wir sind zeitig da und haben das Gemäuer noch für uns, aber später werden es schon mehr… Es sind zahlreiche Exponate aus Glas, Elfenbein und Porzellan ausgestellt, aber auch informatives zu Waffentechnik und der Tatarenzeit. Zum Abschluss trinken wir noch einen Tee mit Seeblick und verabschieden A. und Sohn, denn die wollen noch ein paar Tage in Vilnius verbringen. M. und ich düsen derweil westwärts weiter, dem schlechten Wetter entgegen.



Ich erspare euch jetzt jedes kleine Meerschaumpfeifchen zu zeigen, aber diesen Klunker muss ich präsentieren: Das ist eine sogenannte Plattenmünze. Die wurden in Schweden im 17./18. Jh. geprägt. Gold und Silber waren eher knapp und da wurde eben Kupfer ausgemünzt. Und da auch höhere Werte durch das Metall gedeckt sein mussten, waren die Münzen dementsprechend sperrig. Abgebildet sind 2 Daler. Die 10-Daler-Münze gehört mit knapp 20kg zu den schwersten der Welt. Die abgebildete Platte wiegt etwas über 2kg





Hier ist Putin schon im Kerker


Am Vormittag hatte wir in Trakai noch richtig Glück, aber in Polen wird es ungemütlich. Drohende Wolken, Wind und Regen ziehen auf. Das ist allerdings erst ein Vorgeschmack.

In Białystok wagen wir uns mal kurz aus dem Auto. Eigentlich war von hier aus eine Busfahrt nach Hrodna/Belarus geplant, aber das haben wir gestrichen - wäre zu stressig geworden. Und bei dem Wetter sicher auch nicht so schön. Die Fahrt mit dem eigenen Auto wäre so oder so flach gefallen, weil ich nur widersprüchliche Informationen zur Einreise gefunden habe. Manche schrieben, es müssen die Dokumente fürs Auto notariell beglaubigt übersetzt werden. Und das steht finanziell nicht im Verhältnis zu einem zweitägigen Kurzbesuch bei Väterchen Frost (https://yesbelarus.com/de/attractions-culture/family-attractions/residence-of-father-frost-in-belovezhskaya-pushcha/).

Jetzt schauen wir einmal kurz und bei der Białystoker Kathedrale vorbei. Das jetzige Gotteshaus ist erst knapp 120 Jahre alt, geht aber auf ein älteres Gebäude zurück. Während der russischen Zeit durften keine neuen katholischen Kirchen gebaut werden, aber die Erweiterung der alten aus allen Nähten platzenden Kirche war gestattet. Während M. mit nassen Füßen zum Auto zurück geht, drehe ich noch eine Runde durch den Park des Branicki-Palastes. Nachdem wir in Rundale schon das Baltische Versailles hatten, lustwandle ich nun am Versailles des Nordens.







Auf dem Weg nach Süden sind die Straßen voll. Viele LKWs sind unterwegs. Es ist die Verbindungsstraße von der Ukraine ins Baltikum, v.a. jetzt durch den Krieg, wo auch Belarus als Transitland wegfällt. Das letzte Stück fahren wir aber abseits über Dörfer, zwar ohne Piste, aber mit einigen Schlaglöchern. Auf der Magistrale nach Brest finden wir ein ganz nettes Hotel. Da es ein Restaurant im Haus gibt, brauchen wir dann nur noch ins Bett fallen. Derweil zieht eine Sturmfront auf, die uns in der Nacht und morgen ziemlich durchrütteln wird.
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Reiseberichte / Antw:Ostern im Osten - Baltikum 2024
« Letzter Beitrag von Kaamos am 18. April 2024, 22:07 »
Ostermontag, 01.04.2024

Ab heute sind wir nicht mehr zu zweit, sondern zu viert. Eine Arbeitskollegin (die, mit der ich schon mit Erasmus unterwegs war) hat Fernweh und kommt uns aus Potsdam besuchen. Ryanair fliegt für obszöne 15€ nach Vilnius. Wir holen sie und eins ihrer vier Kinder vom Flughafen ab. Der ist sehr schön und wirkt eher wie ein Bahnhof. Er stammt aus den 1950er Jahren. Nachdem das erste Café noch geschlossen hatte, stolpern wir neben dem Museum für moderne Kunst über ein paar große Muränen, sowie über eine nette Keksbäckerei. Da gibt’s doch bestimmt einen Kaffee und was Süßes zum Frühstück… Auch Leonard Cohen steht hier rum. Seine Familie hat litauische Wurzeln.

Eigentlich wollten wir jetzt noch in die Choral-Synagoge schauen. Von einst ungefähr 100 Synagogen in Vilnius hat nur sie die Nazis und die Sowjets überlebt. Leider kommen wir nicht rein. Auch Synagogen haben am Ostermontag geschlossen.





Dann geht’s eben gleich weiter zum Hauptbahnhof. Hier findet sich eine nette Spielerei: das Portal nach Lublin. Über eine Live-Cam kann man sich hier über 400km hinweg zuwinken. An sich gibt’s ja schon 1001 Webcam, aber die Einbindung in den öffentlichen Raum hat was… Natürlich gibt’s hinterm Hauptbahnhof auch noch ein Eisenbahnmuseum, man muss ja den achtjährigen nun bei Laune halten.
Und nach Zügen folgt Kunst. Versteckt in einem Hinterhof finden wir viel Street Art. In der Open Gallery konnten sich Künstler austoben und jene, die sich dafür halten.






Nachdem es jetzt schon wieder knapp 25°C sind und die Sonne lacht, wollen wir nun hoch hinaus. Wir fahren auf den Fernsehturm von Vilnius und schauen aus 165m Höhe über die Stadt. Zwar ist der Drehmechanismus des Restaurants gerade außer Betrieb, aber der Cocktail schmeckt trotzdem. Nur der Fahrstuhl macht keinen so vertrauenserweckenden Eindruck. Während der Januar-Ereignisse 1991 im Zuge der Loslösung Litauens von der Sowjetunion wollte eine Menschenkette den Fernsehturm vor der Besetzung durch die Sowjets bewahren. Sie wurden von Panzern überrollt. Kreuze am Fuß des Turmes erinnern daran.
Gestern Abend beim Vorbeifahren dachte ich noch: das Foto von der Riesen-Nato-Flagge mache ich heute in Ruhe, die werden sie ja nicht über Nacht einholen. Tja, denkste, nun ist sie weg.



Ein bisschen Zeit ist noch, bis A. & Sohn in ihr Hotel einchecken können, daher fahren wir noch nach Pilaitė. Hier gibt's ‘ne Mühle und ein kleines Museum, wo alte Fahrzeuge vor sich hin rosten. Für einen Bummel durch die Sonne ist es ganz nett.



Danach geht’s aber ins Zentrum. Wir laden A. aus, parken das Auto bei uns auf dem Hof und treffen uns danach im Café Ponių laimė, mitten im ehemaligen jüdischen Viertel.

Bei der Kuchenauswahl fällt die Entscheidung schwer, aber wir teilen zum Glück alle ☺️ Danach schlendern wir einfach durch die Gassen und freuen uns über den explodierenden Frühling.




Egal, wohin man schaut, im Zentrum von Vilnius sieht man an jeder Ecke eine Kirche. Es soll mehr als 50 geben, was der Stadt auch den Beinamen „Rom des Ostens“ eingebracht hat. In einige schauen wir heute auch rein, so etwa in die Dominikanerkirche. Sie ist eine der prächtigsten der Stadt. Es findet gerade Gottesdienst statt.




Vorbei an Uni und Präsidentenpalast kommen wir auch wieder am Dom vorbei und schlendern zurück zum Rathausplatz. M. und ich haben einen Großteil davon ja schon gestern gesehen. Dann werden dem Sohn allerdings die Füße schwer und wir legen eine Pause ein. Die beiden sind schon lange wach, ihr Flug ging schon gegen 06:00… und Zeitumstellung war ja auch gerade erst.

Für das Abendessen haben wir uns einen Tisch reserviert. Bis dahin dauert es allerdings noch und im Gegensatz zu den anderen, die zwischendurch einmal die Beine hochlegen, ziehe ich noch einmal los und erkunde einige Kirchen. Ganz in der Nähe guckt schon die ganze Zeit eine Krone über die Dächer der Stadt. Sie sitzt auf der Kuppel der St.-Kasimir-Kirche aus dem 17. Jh. und ist heute ein Symbol für die Unabhängigkeit Litauens. Während der Sowjetzeit beherbergte die Kirche das Museum für Atheismus. Ein Stückchen weiter kommt das Dreifaltigkeitskloster. Das prunkvolle Tor ist zwar einladend, doch erstaunlicherweise gehen kaum welche durch, sodass die Klosterkirche ziemlich versteckt und verlassen in ihrem Hof liegt. Im 19. Jh. diente das Kloster auch als Gefängnis. U.a. Adam Mickiewicz saß hier ein, der Nationaldichter Polens.


Dreifaltigkeitskloster

Gleich Gegenüber des Dreifaltigkeitsklosters ist das Heiliggeistkloster. Die dazugehörige Kirche ist unbedingt einen Besuch wert. Ihr Inneres ist sehr prunkvoll, insbesondere durch die grüne Ikonostase. Überhaupt ist das Rokokoinnere für eine orthodoxe Kirche ungewöhnlich. Drinnen erklingen gerade orthodoxe Gesänge, die verbreiten auch eine ganz besondere Stimmung. Da wollte ich nicht so offensichtlich filmen, nur so ein bisschen aus der Hüfte heraus…

https://www.youtube.com/watch?v=Z1a1osAs-ug


Augustinerkloster, Heiliggeistkloster (grün), St. Teresa (rosa), Maria-Himmelfahrts-Kirche


St. Kasimir, Tor der Morgenröte

Schließlich werfe ich noch einen Blick in den Bauch der heiligen Teresa mit ihrem überbordenden rosa Rokokodekor, bevor ich vorm Tor der Morgenröte stehe, einem der Stadttore von Vilnius und Aufbewahrungsort der Ikone der barmherzigen Muttergottes. Für Litauer, Belarussen und Polen ist sie die Schutzheilige. Allerdings geht es noch nicht gleich zum Hotel zurück, sondern entlang der Stadtmauer noch weiter ins Tal hinunter.

Und auch hier geht’s wieder kirchlich weiter: Eigentlich wollte ich zur Kathedrale der Himmelsfahrt der Gottesmutter. Sie ist eine der ältesten Kirche des Landes und sieht aus, wie in Georgien. warum gerade dieser Baustil bei Umbauarbeiter genutzt wurde, ist unklar. Leider ist die Kirche zu, also geht es weiter zu einem gotischen Backsteinbau: St. Anna.



Es sind jetzt doch ein paar Kilometer mehr geworden als geplant, da brauche ich es mir zurück in der Wohnung gar nicht erst bequem machen. Der Tisch fürs Abendessen ist für 19:00 reserviert. Es ist wieder ein Restaurant mit typisch litauischer Küche. Und noch ist es so warm, dass wir sogar im Hof draußen sitzen können. Die Schnapsverkostung fällt allerdings etwas heftiger aus als geplant. Es sind einige mit Anis dabei, was A. nicht mag, sodass ich mich opfern muss.

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Reiseberichte / Antw:Ostern im Osten - Baltikum 2024
« Letzter Beitrag von Kaamos am 18. April 2024, 22:06 »
Jetzt schiebe ich mal ein kurzes Intermezzo ein...
Durch die Besondere Lage von Kaliningrad und natürlich durch die mit dem Zarenreich und der Sowjetunion verbundenen Geschichte, haben die Baltischen Länder ein ganz "spezielles" Verhältnis mit Russland und fühlen sich in besonderem Maße bedroht. Entsprechend groß ist die Sympathie und Unterstützung der Ukraine. Das zeigt sich u.a. im Straßenbild mit vielen Flaggen. Besonders ausgeprägt ist das hier in Vilnius, da man direktes Transitland von Kaliningrad nach Russland (via Belarus) ist. Zudem ist die Suwałki-Lücke die einzige Landverbindung des Baltikums mit der Nato, welche die drei als großen Schutz empfinden. In der Stadt sind auch noch viele Dekorationen und Informationsinstallationen zum Natogipfel, der letztes Jahr hier stattfand, sowie zum diesjährigen Natogeburtstag.
Vom Fernsehturm hing bei unserer gestrigen Ankunft eine riesige Natoflagge (mindestens 15x25m).



Das "Vilnius ♥️ Ukraina" ist auf jedem Bus in Vilnius und wird abwechselnd zum Fahrtziel eingeblendet.
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Reiseberichte / Antw:Ostern im Osten - Baltikum 2024
« Letzter Beitrag von Kaamos am 18. April 2024, 22:05 »
Ostersonntag, 31.03.2024

Zum Frühstück gibt's belegte Brote und fürs Auto eine Wäsche. Lange hält es allerdings nicht vor, die nächste Piste kommt bald.
Wir erreichen Daugavpils, die zweitgrößte Stadt Lettlands zeitlich passend zur Messe.
In ihrer Geschichte hatte die Stadt schon viele Herren: Letten, Litauer, Russen, Polen, Schweden, Sachsen, wieder die Russen... Dementsprechend viele Konfessionen haben hier gebaut. Wir sehen unter anderem eine katholische, eine evangelische, eine orthodoxe und eine Kirche der Altgläubigen. Es gibt aber noch deutlich mehr. In einem Umkreis von 500m habe ich nicht weniger als neun Kirchen gezählt. Und alle sind gut besucht. Für einige ist ja Ostersonntag. Fotos von drinnen sind aber kaum möglich. Die Babuschkas am Eingang gucken streng.


(Noch einmal die grüne Synagoge in Rezekne)



Seit Ende des 19. Jh. hat das Zarenreich und nach 1945 die Sowjetunion eine starke Russifizierungspolitik betrieben. Heute ist Daugavpils in der EU die Stadt mit dem größten russischsprachigen Bevölkerungsanteil.

Da Daugavpils im Laufe der Geschichte so stark umkämpft war, liegt es auch nahe, dass es hier eine Festung gibt. Dort fahren wir auch noch einmal durch und stellen fest, dass sich hier das Mark-Rothko-Museum befindet. Der später in die USA emigrierte Maler stammt aus Daugavpils.



Beim Durchklicken der Karte sehen wir, dass es in der Nähe ein fotogenes Dreiländereck gibt. Da sollten wir doch mal vorbeifahren! Auf dem Weg dorthin geht's wieder ein paar Kilometer auf die Piste. Doch irgendwann ist der Weg so holprig und ausgefahren, dass wir uns entscheiden umzukehren. Eine Minute später sehen wir auch schon das Blaulicht hinter uns.

Die Polizei fragt erst sich und dann uns, was wir hier im Nirgendwo wollen. Die rufen dann den Grenzschutz und wir kommen so langsam ins Schwitzen. Aber nicht wegen der Situation, sondern weil es mittlerweile 24°C sind. Die Beamten sind sehr nett. Es dauert eine Weile und wir kommen ins Gespräch. Sie erzählen, dass zahlreiche Elche und Wildschweine in der Nähe unterwegs sind. Leider lässt sich keiner blicken.

Auch der Grenzschutz ist sehr nett und entschuldigt sich noch, dass wir jetzt den Stress mit den Formularen und Anhörungsbögen haben. Es wird wohl eine Verwarnung geben, aber wir dürfen weiterfahren. Wir hatten halt nicht bedacht, dass Belarus immer wieder illegale Migranten über die Grenze schleust. Da ist man hier nun etwas wachsamer.




Ein paar Kilometer weiter nehmen wir dann die offizielle Grenze und sind nun wieder in Litauen und wir fahren und fahren… weite Wälder, holprige Straßen, viele Störche und österlich dekorierte Dörfer…
Wir kommen u.a. am Städtchen Ignalina vorbei. Früher gab es hier ein Atomkraftwerk vom Typ Tschernobyl. Beim Hochfahren waren es die stärksten Reaktoren der Welt. Allerdings auch die gefährlichsten. Die Inbetriebnahme war politisch festgelegt, obwohl der Bau noch nicht wirklich fertig war. U.a. die Raumbeleuchtung hat gefehlt, sodass sie Wartung mit Taschenlampen durchgeführt wurde. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war Litauen Dank des Kraftwerks das Land mit dem höchsten Anteil an Atomstrom weltweit (ca. 88%). Eine Voraussetzung für den EU-Beitritt Litauens war, das Kraftwerk Ignalina abzuschalten.



Tja, wer nun glaubt, wir sind die ganze Zeit in Osteuropa unterwegs, der irrt gewaltig. Wir sind gerade einmal erst in der Mitte Europas angekommen. Es gibt es eine ganze Reihe Orte, die sich mit diesem Titel schmückt. Manche sagen bei Dresden, in der Slowakei, der Ukraine, Ungarn, Tschechien oder Belarus. 1989 hat das französische Institut géographique national den Flächenschwerpunkt Europas etwas nördlich von Vilnius berechnet. Dabei begrenzen sie Europa mit Spitzbergen im Norden, den Kanaren im Süden, den Azoren im Westen und dem Uralgebirge im Osten.



Kurz darauf erreichen wir nun auch Vilnius, die litauische Hauptstadt. Unser Appartement liegt mitten in der Altstadt. Dass hier ein eigener, kostenfreier Parkplatz dabei ist, grenzt schon fast an Luxus.
Es ist noch immer angenehm warm, keine Jacken nötig. Was für eine Wohltat nach dem Wetter der letzten Tage. Wir starten unseren Nachmittagsspaziergang im Stadtteil Užupis. Der war früher hauptsächlich jüdisch besiedelt, was sich im II. Weltkrieg ja leider änderte. Bis dahin war Vilnius eine der größten jüdischen Städte überhaupt. Die Sowjets zerstörten später auch den jüdischen Friedhof. Danach verkam das Viertel immer mehr und wurde zum am meisten vernachlässigten Stadtteil von Vilnius. Hausbesetzer, Kriminelle, Obdachlose und Prostituierte übernahmen die Häuser. Nach der Unabhängigkeit Litauens 1990 wandelte Užupis sich zum Künstlerviertel, quasi ein litauisches Montmartre und erklärte seinerseits die Unabhängigkeit von Litauen. Wir lassen den Pass abstempeln, lesen die Verfassung und posieren mit einer fetten Katze, dem Maskottchen der Republik.





Wahrscheinlich ist es nicht nur für uns der erste richtig warme Tag. Auch halb Vilnius scheint auf den Beinen zu sein, um die Wärme im Bernhardiner-Park zu genießen. Gleich um die Ecke besteigen wir den Gediminas-Hügel, auf dem sich die Reste der Oberen Burg von Vilnius befinden. Vom Gediminas-Turm, dem letzten Überbleibsel der Burg, breitet sich ein großartiges Panorama vor uns aus. Der Turm ist benannt nach Gediminas, Großfürst von Litauen (1275-1341). Er selbst sah sich als König der Litauer und Ruthenen. Nach einer Zeit der Wirren war er wieder ein mächtiger Führer, der zahlreiche Gebiete unter seine Kontrolle brachte. U.a. Das Kiewer Rus wurde zum Protektorat Litauens.








Am Fuß des Burgbergs steht der zweite große Herrscher Litauens vor dem Nationalmuseum: erst Fürst, dann Großfürst und schließlich sogar König Mindaugas (1203-1263). Er war es, der die fünf Fürstentümer Litauens zu einem Staat einte. Sein angenommener Krönungstag ist heute offizieller Feiertag in Litauen.

Gleich daneben ist die Kathedrale St. Stanislaus. Sie ist die älteste Kirche auf litauischem Gebiet. Sie wurde wohl schon von Mindaugas errichtet, der sich aus politischen Gründen 1251 hat taufen lassen, die tatsächliche Christianisierung Litauens erfolgte jedoch erst über 100 Jahre später.



Abendessen gibt’s später im Etno Dwaras. Da haben wir schon in Klaipeda gegessen und es war heute genauso gut, wie beim letzten Mal.


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Reiseberichte / Antw:Ostern im Osten - Baltikum 2024
« Letzter Beitrag von Kaamos am 18. April 2024, 22:02 »
Samstag, 30.03.2024

Von der Disco ungestört, starten wir am nächsten Morgen ausgeruht. Wir fahren noch am Tallinna Humanitaargümnaasium vorbei. Hier hat mein Opa während seiner Kriegsgefangenschaft ein Treppengeländer geschmiedet, das immer noch existiert. Anfang der 2000er habe ich es schon besucht. Das Kriegsgefangenenlager befand sich in der Straße Katusepapi. Ein paar alte Holzhäuser stehen noch, die Opa bestimmt schon gesehen hat. Aber daneben sind schon viele Neubauten entstanden. Durch die Nähe zum Flughafen boomt die Gegend.




Nun war ich bei der Planung ein bisschen übermütig geworden. Wenn wir schon Kaliningrad machen, warum dann nicht auch noch einen Schlenker nach „Festlands“-Russland? Ursprünglich wollte ich nun über Narva/Iwangorod via Pskov runter nach Lettland. Aber seit ein paar Wochen wird die Grenzbrücke saniert und der Übergang ist für Fahrzeuge geschlossen. Also werden wir es ein bisschen weiter im Süden probieren. Das passt auch insofern ganz gut, als dass wir nun doch nach Tartu fahren können.

Unterwegs fahren wir dem Regen hinterher. Gott sei Dank ist er ein wenig schneller als wir, sodass wir die Sonne schon riechen können. Tartu ist trocken und warm, da reicht schon das dünne Jäckchen. Zu allererst besuchen wir Oscar Wilde. Der war hier nie, muss aber für ein Wortspiel herhalten, denn sein Zeitgenosse und Schriftstellerkollege Eduard Vilde stammt tatsächlich aus Estland.




Tartu ist mit knapp 1000 Jahren die älteste Stadt des Baltikums und kann zudem mit einer bedeutenden Universität aufwarten. Zusammen mit dem Salzkammergut und Bodo ist es dieses Jahr Kulturhauptstadt Europas. Ein paar kleine Veranstaltungen gibt es schon, aber der Großteil startet erst in der wärmeren Jahreszeit.
Wir spazieren über den schönen Marktplatz zu Cappucino und Kuchen. Ein großes Frühstück brauchen wir dank der Olden Hanse noch immer nicht. Während M. noch sitzen bleibt und sich um das Versenden ihrer Ostergrüße kümmert, erkunde ich noch ein paar Altstadtgassen, schaue kurz zum Gottesdienst in der vor sich hinbröckelnden Uspenski-Kathedrale und besteige den Domberg.









Der Domberg zu Tartu beherbergte früher eine der größten Festungen der heidnischen Esten. Später folgten eine Bischofsburg und schließlich die Kathedrale, eine der größten Kirchen Osteuropas. Nach der Reformation wurde der Dom dem Verfall preisgegeben, was die Kriege mit Schweden und Russland noch beschleunigten.

Hier finde ich ein Denkmal für Ernst von Bergmann. Der aus Riga stammende Chirurg lehrte an der Universität Tartu und später auch in Deutschland. Er ist einer der Mitbegründer der Hirnchirurgie, machte sich für die Einführung der Asepsis stark und hatte großen Einfluss auf die Kriegschirurgie. Nach ihm ist hier bei mir in Potsdam das Ernst-von-Bergmann-Klinikum benannt.



Aber wir wollen ja nicht hier verweilen, Pskov lockt in der Ferne. Deswegen sind wir, sogar noch ein bisschen vor dem Zeitplan, wieder auf der Straße. Und wir sind nicht die einzigen, die unterwegs sind. Über uns ziehen große Schwärme Zugvögel hinweg.



Südöstlich von Tartu könnte man übrigens auch ganz visafrei Russland betreten. Entlang der Grenze führt die Straße einige hundert Meter über russisches Gebiet. Wir halten uns aber ein bisschen weiter westlich auf der Hauptstraße, um zum offiziellen Grenzübergang zu gelangen. Das ist in Koidula etwas umständlich. Wir werden auf einen großen Wartebereich gelotst, wo wir uns im Büro anmelden müssen und 9€ Eintritt für die Grenze bezahlen. Dann bekomme ich einen Link, wo ich mir einen Warteschlangenplatz buchen kann… der nächste freie Termin: übermorgen 13:00. Die zweite Möglichkeit wäre 40km weiter zum Grenzübergang Luhamaa zu fahren, da ist die Schlange kürzer. Das Internetportal sagt: nur 16 Autos vor uns, Wartezeit 13 Stunden. Da fällt die Entscheidung leicht, das Kloster von Petschory und den Kreml in Pskov von der Wunschliste zu streichen. Da hatten wir in Königsberg wohl richtig Glück.

Die Ecke hatte ich auch aus familiengeschichtlichen Gründen mit ins Programm genommen. Zu DDR-Zeiten hatte mein Vater eine Brieffreundin in der Sowjetunion, die dann nach der Wende als Spätaussiedler zurück nach Deutschland gekommen ist. Deren Familie stammte ursprünglich aus der Gegend um Halle, wenn ich mich richtig erinnere. Irgendwann im 18. Jh. sind sie Richtung Odessa ausgewandert.
Der Kontakt zur Brieffreundin und Familie besteht noch und wir kennen ein bisschen was über deren Familiengeschichte. Das interessante ist, dass sich die Wege schon früher einmal fast gekreuzt zu haben scheinen.
Während des zweiten Weltkriegs war mein Uropa, da nicht fronttauglich als Schreibkraft hinter der Front in der Gegend unterwegs. Meine Mutter wertet gerade seine alten Tagebücher aus und vollzieht die Route nach. Er müsste durch das Dorf gekommen sein, wo die Uroma der Brieffreundin lebte. Damals haben die Ukrainedeutschen die Ankunft der Nazis bejubelt.
Mit dem Rückzug der Deutschen sind sie dann mit der Front mit gewandert, bis die Familie schließlich zu Kriegsende wieder in Halle gelandet ist. Dort wurden sie dann von den Russen einkassiert und zurück in die Sowjetunion gebracht - Zwangsumsiedlung nach Sibirien. In den 1980ern konnten sie dann so etwas wie einen Wohnungstausch machen und sind nach Tartu gezogen. Ich kenne alte Fotos aus unseren Alben, wo sie vorm Kloster in Petschory stehen.

Das Höhlenkloster von Petschory ist zum einen hübsch und zum anderen eines der wenigen Klöster Russlands, welche Zeit ihres Bestehens nie geschlossen wurden und auch die Sowjetzeit überdauert haben. Pskov wurde 903 erstmals erwähnt und ist eine der ältesten Städte Russlands. Es gibt einen sehenswerten Kreml und einige bedeutende Kirchen, deren Architektur seit 2019 auch UNESCO Weltkulturerbe ist. All das sehen wir nun aber nicht. Tja…






So langsam wird es richtig warm. In der Sonne schwitzt man schon fast hinter der Scheibe. Die Schneeberge am Straßenrand werden auch merklich kleiner und verschwinden nach dem Grenzübertritt nach Litauen schließlich ganz. Hier wird die Fahrt abenteuerlich. Durch die Region Lettgallen fahren wir teils über eine Piste durch den Wald. Dabei staunen wir nicht schlecht, als uns ein Auto aus Potsdam entgegenkommt.



Unser Ausweichziel für heute ist Rēzekne (Rositten). Das liegt am Kreuzungspunkt der alten Handelsstraßen von Warschau nach St. Petersburg und von Riga nach Moskau. Für uns schließt es die Tagesetappe gut ab und verkürzt unsere morgige Fahrt. Wir haben schon von der Grenze in Koidula aus fix ein B&B gebucht, sind dann aber vor Ort etwas „enttäusch“. Zum Glück ist es nur für eine Nacht.
Wir folgen nicht der Empfehlung unseres Gastgebers zum Döner, sondern schauen selbst noch einmal. Das, was wir finden ist für die Provinz hier unerwartet nobel. Im Restaurāns Mora schlemmen wir letgallische Gerichte zu gutem Osterwein. Nach dem Essen besuchen wir noch kurz die Geister bei der Ruine der örtlichen Ordensburg (die Wolkenburg) und schauen bei der „grünen Synagoge“ vorbei, der letzten von ehemals 12 Synagogen im Ort.




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