Thema: Angst vor Einsamkeit und Mittellosigkeit und einfach Gedankenchaos  (Gelesen 4713 mal)

Sandra B.

Hallo,
auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob das Thema hier richtig ist, möchte ich es einfach mal versuchen. Der Text ist ein wenig lang, aber ich weiß leider nicht, welche Aspekte die relevanten in meinem Gefühlschaos sind:

Als Jugendliche hatte ich den Plan, als Backpacker durch die Welt zu ziehen, habe mir diesen Plan aber durch mein Umfeld ausreden lassen. Dann kam eine sehr lange Zeit, in der ich mich nur darum gekümmert habe, einen Berufsabschluss zu bekommen. Ich habe Germanistik/ Deutsch als Fremdsprache studiert - eigentlich mit dem Ziel, mit diesem Abschluss dann als Deutschlehrer durch die Welt zu kommen. Am Anfang fehlt mir die Berufserfahrung und jetzt wollen alle immer nur noch Personen mit Master-Abschluss oder Dr. Titel. Auf jeden Fall habe ich den Plan als gescheitert betrachtet, über meinen Bachelor in die Welt zu kommen.
Ich habe in den letzten Jahren einige Reisen allein gemacht, hatte aber meistens das Problem, das ich sehr unter Einsamkeit gelitten habe. Eine Reise war 5,5 Wochen pilgern auf dem Camino de Santiago. Ich dachte, dieses Problem mit dem Alleinsein würde sich irgendwann legen, hat es in 5,5 Wochen aber nicht.
Eigentlich habe ich in meinen Gedanken immer wieder beschlossen, alles hinzuwerfen und zu wandern- es letztlich aber nie geschafft, insbesondere weil ich nach meinen anderen Reisen Zweifel hatte, dass ich auch unterwegs nicht glücklich werde und weil ich Angst vor dem Alleinsein habe, aber auch weil ich Angst habe, kein Geld zur Verfügung zu haben. Meine finanziellen Mittel sind sehr überschaubar.
Dann habe ich im letzten Sommer nach sehr langem Single-Dasein (ich bin mittlerweile 40) meinen Freund kennengelernt und und einen neuen Job angetreten. Eine kurze Zeit dachte ich, das ich einfach einen Schlussstrich unter meine Reisepläne ziehen sollte und meinen Fokus auf die Beziehung lege. Das Problem ist nur, dass mich auch der neue Job schon wieder komplett frustet und ich den Glauben an den Bereich Erwachsenenbildung verloren habe. Und jetzt ist das Gefühl, das ich nicht mein Leben sondern das Leben meines Umfeldes führe wieder extrem da.
Ich bin bedaure, dass ich mir meine früheren Reisepläne habe ausreden lassen und dann einfach so lange den Fokus auf das Geld gelegt habe und es trotzdem nicht verdient habe. Und jetzt frage ich mich, macht es mich glücklich, alles hinzuwerfen und alleine um die Welt zu reisen oder macht mir das Gefühl der Einsamkeit es unmöglich, so eine Reise zu genießen? Kennt jemand dieses Gefühl? Ich dachte ja vor meiner Spanienreise, das dieses Gefühl eine zeitlang da ist und dann überstanden ist, aber 5,5 Wochen haben nicht ausgereicht.

Ich weiß, dass dieses Thema nur so halbwegs hierher passt, aber ich habe in meinem Umfeld nur Personen, die mir sagen, dass ich damit zufrieden sein soll, einen unbefristeten Job zu haben und mir diese Flausen mit dem Reisen aus dem Kopf schlagen soll.
Eine andere Erfahrung vom Camino de Santiago war aber auch, dass es eine unheimliche Befreiung war, dort viele Menschen zu treffen, die den gleichen Traum haben und auch einfach losgelaufen sind. Deshalb habe ich mich jetzt entschieden, mein Gedanken- und Gefühlschaos hier zu posten. In dem Wissen, dass hier reisefreudige und reiseerfahrene Mitmenschen sind.
Das letzte Thema, das mich beschäftigt, ist mein Freund. Nachdem ich jetzt ewig viele Jahre viele falsche Frösche geküsst habe, habe ich bei ihm das Gefühl, dass es dauerhaft passen könnte. Der Gedanke, ihn zu verlassen, macht mich traurig, aber ich weiß auch nicht, ob solche Pläne, wie eine Trennung auf Zeit und dann wieder nach hause kommen realistisch sind. Vielleicht hat da ja auch jemand Erfahrungen.

Vielleicht kennt jemand diese Ängste oder auch dieses Chaos. Ich freue mich auf eure Meinungen und Erfahrungen. Danke. Sandra
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Vombatus

… hier ein kleines Feedback.

Sicher bist du mit deinen Gedanken und Gefühlen nicht alleine. Angst, Einsamkeit, Zweifel, Heimweh, Unsicherheiten sind immer wieder ein Thema in der Gefühlswelt.

Dennoch ist das natürlich immer ein individuelles „Probem“ und die Sicht von aussen ist immer eine andere als von innen … will sagen. Wenn man nicht drin steckt kann man schnell „gscheid daher ren“.

Ich erwähne immer wieder in der „Gefühlswelt“, dass eine Reise keine Probleme (Zuhause) löst. Sicher hat eine Reise viele Auslöser und zieht Änderungen mit sich. Im Grunde weiß man nach der Reise aber nicht mehr als vorher, nur eben klarer. Vielleicht ändern sich Prioritäten und Meinungen … der Mensch bleibt der Selbe. Die Probleme wohl auch.

Es gibt da eigentlich auch nicht notwendigerweise eine schwarz-weiß-Sicht. Alles hinwerfen, alles ändern, alles neu, Schlussstrich. Mit jedem neuen Schritt hast du ein Haufen neuer Herausforderungen.

Eine Reise ist keine Therapie und bekämpft nicht die Ursachen. Zu hohe Erwartungen werden enttäuscht. Reisen kann sehr anstrengend und nervig sein, sehr einsam und frustrierend. Vielleicht muss man auch viel Lehrgeld zahlen und merkt, dass man nicht der (Reise)Typ ist. Das gehört dazu. Das soll niemanden abhalten eine Reise zu tun.

Was mich etwas aufhören lässt, ist, dass du schon vor der Reise Angst hast, dass du einsam sein wirst. Bei den Vorraussetzungen wird das auch eintreffen. Irgendwie „träumst“ du von „alles  hinwerfen“, eine Art von haltlos sein. In beide Richtungen, es hält dich nichts mehr Zuhause (von der Reise ab), da ist aber dann auch nichts und niemand der dich hält, wenn du jemanden brauchst. Du musst dann mit dir selbst zurecht kommen. Und davor hast du jetzt schon Angst. Natürlich kann auch das Gegenteil passieren und es wird das Beste sein was du machen konntest.

Reisen, Langzeitreisen können wunderbar sein. Das Loslassen, die neuen Heruasforderungen und Erfahrungen können wahnsinnig bereichernt sein. Aber nicht für jeden, dass muss man erfahren und akzeptieren. Das ist auch nichts negatives, hier darf es keine Vergleiche geben, kein Messen, keine Leistungsschau oder Gefühls-Erwartungsdruck.

Kannst du eine Auszeit nehmen. Unbezahlten Urlaub. Sabbatical? Also ohne alles aufzugeben ein paar Monate weg?

Hast du mit deinem Partner darüber gesprochen? Ist er ein Reisetyp? 

Warum denkst du, du müsstest ihn verlassen? Warum könnt ihr nicht zusammen los? Dann hast du jemand auf deiner Seite. Oder, wenn du „nur“ 2-3 Monate weg bist, dann hast du einen „Anker“ zuhause.

Wenn du mit den Gedanken spielst ihn zu verlassen und dich der Gedanke daran schon traurig macht, plus die Angst vor der Einsamkeit und der Herausforderung, dann hast du so viel negative Energie/Mauern aufgebaut, dass du nur scheitern kannst. Sorry, wenn ich das so hart sage. Aber es gehört Reisefreude dazu, Neugierde, sich darauf einlassen … . Natürlich gehört auch Angst dazu. Ich glaube fast jeden ging der Ar… auf Grundeis, kurz bevor es losging. Unsicherheiten, Ängste … das gehört als Begleiter dazu.

Und das liebe Geld. Man muss nicht reich sein um lange unterwegs zu sein. Wieviel man tatsächlich braucht hängt von vielen Umständen ab. Möchte da jetzt keine Zahl nennen weil jeder andere Erwartungen hat.

Ich denke, dass dein Gefühlschaos aus vielen Baustellen besteht, und es liest sich so, als ob der Reisetraum eine Art Flucht ist. Und du irgendwie vor etwas wegläufts, statt irgendwo hin. Wenn du sagst, du erfüllst dir deinen Traum und dafür gibst du dein Job auf, ist es etwas anderes, als wenn du sagst, dein Job ist unbefriedigend, Reisen muss jetzt die Lösung sein, weil du das schon immer machen wolltest. Weißt du was ich meine? Mit Begeisterung hin zur Reisefreude, nicht unsicher weg vom Frust.

 :)
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huskyeye

Liebe Sandra,

ich kann mir ein Stück weit vorstellen, wie du dich fühlst. Allerdings glaube ich, dass Vombatus in seiner Antwort schon vieles auf den Punkt gebracht hat: Das "Hinwerfen" scheint für dich an erster Stelle zu stehen, gleichzeitig ist die Vorstellung vom Reisen mit recht grossen Ängsten behaftet.

Wenn ich deine Zeilen so lese, frage ich mich: Was erhoffst du dir von einer grossen oder langen Reise? Geht es dir darum, etwas Bestimmtes zu erleben oder zu sehen - also z.B. bestimmte Länder, Kulturen, bestimmte Sprachen zu sprechen/hören/lernen, ein bestimmtes Klima oder bestimmte Aktivitäten zu geniessen, dich einfach selbst besser kennenzulernen... - oder willst du in erster Linie von etwas Bestimmtem weg? Von einer Arbeit, die dich frustet - anscheinend schon länger -, von einem Umfeld, in dem du dich einsam/allein fühlst, vielleicht sogar trotz neuer Liebe?

Natürlich bin ich keine Therapeutin, aber für mich liest es sich so, als wärst du auf der Suche nach etwas, was man vielleicht "Erfüllung gekoppelt mit Geborgenheit" nennen könnte. Und die diversen Ängste, die du hast - dass es finanziell nicht klappt, dass du einsam sein wirst.. - sind vielleicht ein innerer Wink mit dem Zaunpfahl, dass du eigentlich selbst weisst, dass das Reisen dir nicht geben können wird, was dir in deinem derzeitigen Leben fehlt. Hm. Es ist natürlich im Grunde unmöglich, jemandem, den man gar nicht kennt, etwas zu raten. Ich glaube nur, wenn die Ängste vor dem Reisen die Neugier und die Lust darauf überwiegen, wenn es mehr um den Wunsch des "alles Hinwerfens" geht, ist das ein Zeichen, dass man erst einmal rausfinden sollte, warum man alles hinwerfen will.

Wenn du das Gefühl hast, mit dem neuen Mann an deiner Seite eine Zukunft zu haben, frage ich mich auch: Was sagt er zu deinen Träumen? Wäre er vielleicht wirklich interessiert, mitzukommen? Würdest du das wollen? Oder ist es eben doch so, dass es dir gar nicht wirklich um eine Reise geht, sondern darum, etwas Grundlegendes in deinem Leben zu verändern? Vielleicht könnte dir jemand Aussenstehendes, ein Coach oder Gesprächstherapeut, dabei helfen, herauszufinden, um was es dir wirklich geht.

In jedem Fall wünsche ich dir, dass sich das Gefühlschaos bald etwas beruhigt und du einen guten Weg für dich findest.

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Sandra B.

An vombatus, huskyeye,

zuerst danke ich euch für eure Antworten und euer Verständnis. Es geht mir beim Reisen darum, neue Länder und Menschen kennenzulernen. Ich finde es interessant, mich mit Menschen aus aller Welt zu unterhalten und an ihren Erfahrungen teilzunehmen. Zum Beispiel liebe ich es, in Hostels mit vielen Menschen aus vielen Ländern zu übernachten und einfach nur zuzuhören und zu erzählen. Ich finde, die Geschichten, die man von den Menschen auf Reisen erfährt, haben mehr Tiefe. 
Ich finde es spannend, mich jenseits der Komfort-Zone zu befinden und zu improvisieren. Und ich bin sehr anpassungsfähig, was äußere Umstände betrifft.

Was ich mir emotional auf mich bezogen vom Reisen erhoffe: mich besser kennenzulernen, sagen zu können, was ich vom Leben erwarte/ was ich will, Abhängigkeitsbeziehungen Auflösungen (sowohl Meinungen von Personen und vermutlich auch eine Abhängigkeit von materiellen Werten), Erhöhung der körperlichen und seelischen Belastbarkeit/ Stärkung

Was meinen Freund betrifft, so zieht ihn überhaupt nichts ins Ausland. Er hätte sogar die Möglichkeit gehabt, über die Firma nach Amerika zu fahren und hat sogar das abgesagt. Ich versuche gerade, ihm das Reisen ein wenig schmackhaft zu machen. Von daher besteht die Option einer längeren gemeinsamen Reise leider nicht.

Was den Eindruck des Schwarz-weiß-Denkens betrifft, so weiß ich, dass ich dafür anfällig bin und ich danke für den Hinweis. Mir war nicht bewusst, dass ich da schon wieder komplett drin stecke.

Diese Gedanken, dass eine Reise keine Therapie ist, mache ich mir auch. Und es hat mir einfach zu denken gegeben, dass auf jeden Fall zwei Reisen (zwei Wochen Spanien mit Sprachkurs und ich habe bei einer spanischsprachigen Frau ohne große Sprachkenntnisse) und dann die 5,5 Wochen Camino de Santiago mehr oder weniger so waren, wie ich sie vorher geplant hatte und dann dennoch verdammt einsam war. Und das war für mich einfach total unerwartet.
In meinem Umfeld (mein Freund gehört dazu) endet gleich beim ersten Satz die Unterhaltung, alles hinwerfen und Reisen ist quatsch. Thema Ende. - Ich finde es schon sehr hilfreich, dass ihr euch die Mühe macht, dass Problem aus verschiedenen Aspekten zu beleuchten und in im positiven Sinne in Einzelaspekte zu zerrupfen. Und es auf jeden Fall hilfreich, eure Meinungen zu lesen. Ich konnte auf jeden Falleinige hilfreiche Aspekte entnehmen.
Danke Euch. Sandra
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huskyeye

Liebe Sandra,

gern geschehen - bin gespannt, wie du weiter planst. Was mir noch einfällt und dir vielleicht auch Mut macht: Auf meiner längeren Reise (5 Monate damals, 2011/12) hatte ich das Glück, einmal im Hostel und einmal durch einen gebuchten Ausflug jeweils extrem nette Menschen kennenzulernen, mit denen ich dann jeweils über eine Woche zusammen weitergereist bin. Das hat mich damals sehr gefreut, so überraschend auf Menschen zu stossen, die die selbe Wellenlänge hatten und mit denen ich ohne zu zögern nicht nur Zimmer, sondern auch Gedanken teilen konnte. Mit einer Spanierin, die ich damals in Kambodscha kennengelernt habe, bin ich seitdem eng befreundet und wir sehen uns einmal im Jahr. Von ähnlich nachhaltigen Begegnungen, die während der Reise schön sind, dir zumindest zeitweise etwas Halt geben und das Leben auch hinterher noch als echte Freundschaft bereichern, können dir hier im Forum sicher viele berichten, und dabei ist auch das Alter wurscht.

Viele Grüsse aus Ägypten, wo ich auch gerade alleine weile!
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dirtsA

Hey Sandra,

was ich aus deinem Beitrag noch nicht ganz herauslesen kann, ist, warum du dich genau einsam fühltest damals in Spanien. Hast du wenig Gleichgesinnte getroffen? Warst du in einem Monat unterwegs, wo auf dem Jakobsweg eher Stille ist?
Ich wundere mich nur, weil du ja andererseits dann schreibst, dass du es liebst, neue Menschen beim Reisen kennenzulernen, in Hostels mit anderen zu quatschen etc. War das dann immer nur für einen Abend, aber du hast selten Leute getroffen, mit denen du mal ein paar Tage reisen konntest? Oder waren die Zeiten zwischen solch tollen Gesprächen immer zu lange, also war das mal einmal in ein paar Wochen und das wars?

Wenn du dich für die Reise entscheiden solltest, könntest du ja die Länder-Auswahl entsprechend gestalten. Also eher in Regionen, wo viele Reisende unterwegs sind (Thailand, Mekong-Region), als jetzt irgendwo durch Südost-Afrika zu zuckeln ;)

Ich stimme meinen Vorrednern zu, dass eine Reise keine Probleme löst. Andererseits denke ich schon, dass sie gute Denkansätze geben kann und man vielleicht mit neuen Ideen und neuer Motivation fürs Leben zuhause rauskommen kann. Wenn da nicht dein Problem mit der Einsamkeit wäre...

Wäre es für deinen Freund aber ok, wenn du allein ein paar Monate losziehen würdest? Oder würde eine Entscheidung zur Reise auf jeden Fall eine Trennung bedeuten?
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