Ich denke, schlussendlich muss das jeder für sich entscheiden. Eine kleine Berechnung zeigt ja schnell, wie lange man für gewisse Dinge arbeiten muss, welcher Stundenlohn dabei etwa resultiert etc. Meines Erachtens ist das Resultat in den meisten Fällen sehr ernüchternd. Das ist natürlich auch abhängig davon, welche Möglichkeiten man im Heimatland hat.
Als Beispiel, ohne hier irgendwie angeben zu wollen:
Als Schweizer Ingenieur arbeite ich zu Hause vielleicht eine Stunde, um mir ein Dormbett (oder sogar ein eigenes Zimmer) und drei einfache Mahlzeiten in vielen günstigeren Ländern dieser Welt zu finanzieren. Mir ist klar, dass dies ein absolutes Privileg ist, zu dem ich selbst nicht all zu viel beigetragen habe, ausser mich nach einer einigermassen guten Ausbildung und Anstellung umzusehen. In Deutschland und Österreich ist es vielleicht nicht ganz so krass, aber auch hier ist man international doch sehr privilegiert und hat es einfacher als die meisten Weltbewohner, eine lange Reise aufzugleisen. Natürlich ist es dennoch absolut kein Problem, all das Geld laufend zu verprassen, ohne je was zur Seite zu legen. Aber mit einer schlauen Ausbildungsplanung, einer guten Jobsuche, einfachen Wohnverhältnissen, ggf. Verzicht auf ein Auto etc. hat man schon sehr viele Möglichkeiten.
Würde ich persönlich unterwegs Geld verdienen wollen, kämen eher andere Tätigkeiten in Fragen. Inzwischen gibt es jede Menge Jobs, die sich auch komplett online erledigen lassen. Am einfachsten ist es natürlich, man kann auf bestehende Kontakte zurück greifen (ggf. ehemaliger Arbeitgeber). Im Bereich Texten, Programmieren, Übersetzen, Gestalten, div. Dienstleistungen besteht ein recht grosser Markt. So etwas geht nicht von heute auf morgen, lässt sich aber mit etwas Vorbereitung aufgleisen. Sofern man seine Deutsch-Kenntnisse bewusst ausspielt, darf man nach etwas Einarbeitung auch mit deutlich besseren Stundenlöhnen rechnen, als man sie bei vieler dieser Gelegenheitsjobs finden würde. Man tauscht hier simpel Zeit gegen Geld, kann sich dabei aber unter Umständen in neue Bereiche einarbeiten, mittelfristig eine bessere Bezahlung sichern und langfristig ein Modell aufbauen, was sehr lange Reisen an beliebige Orte vereinfachen kann.
Vor Ort gibt es sicherlich Tätigkeiten, wo man sehr wertvolle Erfahrungen sammeln kann. An dieser Stelle wäre es mir egal, komplett gratis zu arbeiten, sofern es einem sinnvollen Projekt, z.B. Umweltschutz, dient. Ich hab den Eindruck, das Thema "wertvolle Erfahrungen sammeln" wird ansonsten oft etwas romantisiert und die Ernüchterung lässt in vielen Fällen nicht lange auf sich warten. Wäre ich HR-Verantwortlicher und in einem Bewerber-CV würden solche spontane Arbeitseinsätze erwähnt, würde ich mich genauer erkundigen, welchem Zweck diese gedient haben und wie sich der Bewerber dazu äussert. Will damit nicht sagen, dass ich generell negativ eingestellt bin, aber oft kann ich diese Gedankengänge (als zugegeben ziemlicher Vernunftsmensch) nicht ganz nachvollziehen.
Ich hatte bis jetzt oft das Gefühl, dass Leute, die unterwegs in Hostels und dgl. arbeiten, ihre Reiseplanung vor allem im Bezug auf Finanzen nicht so ganz durchdacht haben. Viele haben sich spontan entschieden, unterwegs zu arbeiten, weil das Geld zu Neige ging, man aber noch nicht nach Hause wollte. Es steht selbstverständlich jedem frei, sein Leben so zu gestalten, wie er möchte. Es muss nicht immer alles rational und effizient sein. Wenn aus solchen Arbeiten eine grosse Zufriedenheit resultiert, rückt der finanzielle Aspekt klar in den Hintergrund. Nur hab ich den Eindruck, dass es tatsächlich oft darum geht, irgendwie etwas zu verdienen, sei es auch nur sehr wenig. Und sobald ich in der Rolle des Arbeiters den Verdacht schöpfen würde, dass sich jemand an meiner "Notlage" oder dem Drang, etwas Gutes tun zu wollen, bereichert, wäre es bei mir mit der Zufriedenheit vorbei. Das Gefühl, in irgendeiner Art und Weise ausgenützt zu werden, mag wohl niemand.
Wer mit seiner beruflichen Situation zu Hause nicht zufrieden ist und dann in eine Langzeitreise "flüchtet", wird es bei der Heimkehr in vielen Fällen auch nicht besonders einfach haben. Ich würde jedem, der sich auf eine lange Reise begibt, anraten, die Heimat so "aufgeräumt" wie möglich zu verlassen. Natürlich macht es nicht besonders viel Spass, sich bereits vor der Reise um die Heimkehr zu kümmern, aber das zahlt sich in jedem Fall aus. Auch ist das Spartpotenzial vor der Reise im normalen Alltag bei vielen längst nicht ausgeschöpft.
Nicht zu vergessen ist, dass es in Deutschland, der Schweiz und in Österreich sehr viele internationale Firmen gibt, die ihre Produkte und Dienstleistungen in alle Welt verkaufen. Diese Firmen haben es oft sogar schwer, Leute zu finden, die eine gewisse Reisebereitschaft mitbringen. Wer über einen längeren Zeitraum immer wieder im Ausland arbeiten will, kommt hier an reichlich Möglichkeiten, die dank Spesen, Zulagen und mitteleuropäischen Löhnen gut bezahlt sind. Kehrseite ist natürlich, dass man sich die Zielländer und Destinationen dann nicht immer aussuchen kann, genauso gibt es spontane Einsätze und eine gewisse Flexibilität ist gefordert.