Thema: Reisen und Lernen  (Gelesen 1804 mal)

pad

« am: 18. September 2015, 02:52 »
Liebe Community

Dass man auf langen Reisen vieles unbewusst und automatisch dazu lernt, dürfte den meisten aus eigener Erfahrung bekannt sein. Dazu gehört z.B. Organisationstalent, kulturelles Verständnis, eine Menge Fakten und Infos über die bereisten Länder, Toleranz, Sprachkenntnisse und die nötige Portion Gelassenheit und Selbstvertrauen (…).
Weitere Dinge lernt man bewusst im Reisekontext (beispielsweise das Tauchen, Surfen, Yoga oder vor Ort gesprochene Fremdsprachen). So weit, so gut.

Nun frage ich mich, ob es hier auch Leute gibt, welche die Reisezeit / Auszeit aktiv nutzen, um sich zu reisefremden Themen weiterzubilden. Im einfachsten Fall wäre dies z.B. das Lesen von interessanten Fachbüchern  oder das bewusste Erweitern von Sprachkenntnissen auf eigene Faust. Ich denke aber auch an komplette Themengebiete, wie man sie in einer Weiterbildung oder einem Studium abdecken würde (z.B. das Programmieren, Wirtschaftsthemen, Weiterbildung auf dem eigenen Fachgebit, das Schreiben von Büchern, das Erlernen einer handwerklichen Fertigkeit usw.)

Auf einer ersten Langzeitreise wird es bei den meisten im Vordergrund stehen, „Vollzeit“ viele Orte zu entdecken und fremde Kulturen kennen zu lernen. Wer besonders lange unterwegs ist, bereits zum zweiten oder dritten Mal losgezogen ist und / oder schon sehr viel gesehen hat, bei dem stellt sich vielleicht irgendwann ein gewisses Gefühl der (vorübergehenden) Sättigung ein. Stattdessen rückt der Wunsch nach persönlicher Weiterentwicklung und Weiterbildung in den Vordergrund. Mir geht es im Moment zumindest so. Das Reisen macht mir viel Spass, aber eigentlich würden 2-3 Stunden Sightseeing pro Tag oft gut reichen (nicht, dass Reisen bloss aus Sightseeing bestehen würde).

Mir Dinge auf eigene Faust beizubringen, bereitet mit viel Freude und motiviert mich. Dies in fremder Umgebung zu tun und mit dem Reisen zu kombinieren, finde ich zusätzlich sehr interessant.

Ein Beispiel aus meinem Leben: Ich plane in den kommenden Jahren einen MBA-Studiengang, aber ehrlich gesagt geht es mir dabei vor allem um das Diplom (traurig aber wahr). Nicht, dass ich an den Inhalten nicht interessiert wäre. Aber ich bin ziemlich überzeugt, dass ich das nötige Wissen auch auf eigene Faust erarbeiten könnte (zu deutlich geringeren Kosten). Natürlich könnte man einfach im Ausland studieren, was ich ein grosses Stück interessanter ansehe. Dennoch reizt mich der Gedanke, sich selbst einen Lehrplan aufzustellen, diesen Umzusetzen und dabei immer mal wieder an einem neuen Ort zu sein. Dazu kommen die wesentlich geringeren Lebenshaltungskosten in vielen Ländern, was den Handlungsspielraum deutlich erhöht.

Habt ihr euch für eure (zweite, dritte) Langzeitreise grosse Lernziele gesetzt? Gibt es Leute, die unterwegs bewusst und regelmässig Zeit für das Lernen frei machen? Wie geht ihr das an und was sind eure Erfahrungen? Und nicht zuletzt: Wie kann man das erworbene Wissen glaubwürdig verkaufen (Stichwort Bewerbungsgespräch / Stellensuche)?

Ich freue mich über euer Feedback!
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n_rtw

« Antwort #1 am: 18. September 2015, 05:20 »
Hallo Pad,
Interessante Frage, die sich mir waehrend der Reise auch oft aufgetan hat. Mit mittlerweile 2.5 Jahren Reise sollte man ja denken, dass eine gewisse Reisemuedigkeit eingetreten ist und ich Lernprojekte, derer sich einige in meinem Hinterkopf verbergen, also locker angehen koennte. Aber, um das Fazit vorzugreifen, ich bin schlicht faul und meine intrinsische Motivation  tendiert gegen Null.
Hier mal ein paar Beispiele. Meine Motivation vor der Reise war unglaublich. Ich wollte neben Spanisch perfektionieren auch meine Web-Programmierungskenntnisse, die sehr gering sind, erweitern. Aber gerade in der Anfangszeit des Reisens ist das durch die vielen spannenden Erlebnisse schnell in den Hintergrund gerueckt, aber immer noch nicht total vergessen. Spanischkurs habe ich eine Woche lang am Anfang gemacht, ums wieder alles aufzufrischen. Dann nur learning by doing. Dagegen hatte ich am Ende meiner Zeit in Suedamerika noch mal nen richtigen Flash und hab noch mal ne Woche Sprachkurs gemacht um so richtig einzutauchen in die Untiefen fieser grammatikalischer Strukturen. Und das war dann sehr genial.
Irgendwann habe ich dann auch beschlossen, wo spanisch so gut laeuft, muss mein Schulfranzoesisch auch auf ein annehmbares Level angehoben werden. Also schon mal zur Uebung ein franzoesisches Buch mit mir rumgeschleppt, aber doch nie reingeguckt. Und aus dem Plan, in Frankreich einen Sprachkurs zu machen wurde auch nichts, nachdem ich festgestellt habe, wie wunderbar man in Frankreich wandern kann. Zumindest habe ich hin und wieder in meine extra mitgenommene franzoesische Grammatik geschaut um ein paar Unklarheiten waehrend des Lesens des franzoesischen Buches zu klaeren. Aber das wars dann auch.
Und nun versuche ich mich an Bahasa Indonesia, extra ein Buch ausgedruckt und eine App runtergeladen, aber an regelmaessigem reinschauen scheiterts. Ich kann mich auch so ganz gut beschaeftigen, ohne in Buecher zu schauen.

Ueber mich gelernt habe ich also folgendes: ohne konkreten Anlass/Bedarf lerne ich nix extra. Ich brauch einen konkreten Anlass/ ein Projekt wo die Umsetzung des gelernten direkt erfolgt. So will ich z.B fuer einen Freund eine Homepage machen, wenn ich zurueck komme. Aber das wird dann erst gelernt wenn ich vor dem Computer sitze und sich die konkreten Fragen stellen.

Ansonsten stellt sich mir immer die Frage, warum ausgerechnet Organisationstalent zu den Faehigkeiten gehoert, die man angeblich auf Reisen erlernt. Abgesehen davon dass ich es schoen finde, mal absichtlich (fast) ganz ohne Organisation und Planung durchs Leben zu gehen (das hab ich doch zu Haus genug), sehe ich nicht, was fuer ein Talent dazu gehoert, zum Busbahnhof zu gehen und sich ein Ticket fuer den naechsten Bus zu kaufen, sich online ein Flugticket oder mal eine Unterkunft zu buchen oder auch im Reisefuehrer mal nachzulesen, ob und was fuer ein Visum man braucht und welche Sehenswuerdigkeiten es gibt. Aber vielleicht liege ich auch falsch hier, vergesse irgendwas und lasse mich gerne eines besseren belehren.

Zum Schluss noch: ich bewundere alle die aus rein intrinsischer Motivation und ohne konkreten Anlass einfach so tief in ein Spezialgebiet eintauchen. Respekt.
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pad

« Antwort #2 am: 18. September 2015, 13:50 »
Danke für deine Antwort!
Es ist schon nicht so, dass ich quasi beliebig intrinsisch motiviert wäre und mir reihenweise Dinge "auf Vorrat" und ohne Ziel und Zweck beibringe. Hier in Südamerika hat es mir z.B. das Spanischlernen angetan. Obwohl ich bereits mir Vorkenntnissen angereist bin und mich problemlos durchschlagen konnte, sah ich dies als tolle Möglichkeit, mein Spanisch aktiv zu verbessern und auf ein anständiges Level zu bringen. Zwischenzeitlich habe ich richtig Freude am Sprachen lernen gewonnen und möchte ebenfalls mein Französisch auffrischen und im Anschluss eine neue Sprache in Angriff nehmen. Ich sehe das auch etwas als Experiment. Viele haben ja während der Schulzeit eher schlechte Erfahrungen mit dem Sprachenlernen gemacht und sind deshalb in dieser Hinsicht eher demotiviert. Dass man mit der richtigen Strategie wesentlich zügiger vorwärts kommt und das Ganze sogar noch viel Spass machen kann, musste ich erst mal für mich herausfinden.

Es geht mir ein Stück weit wie dir, dass ich einen Anlass oder Bedarf brauche, um etwas zu lernen. Zumindest hilft ein konkretes Ziel unglaublich bei der Selbstmotivation. Allerdings kann man sich diesen Anlass selbst zurecht legen (Ziel: Webseite bereits während der Reise bis Datum XY umsetzen oder jetzt Französisch pushen, um im September in Frankreich ohne ein Wort Englisch über die Runden zu kommen).

Was mir immer wieder durch den Kopf geht: Jetzt hab ich Zeit und kann praktisch beliebige (Lern-)Projekte umsetzen, wenn ich jeden Tag etwas Zeit investiere. Zu Hause ist das a) deutlich teurer und b) wird man eher seltsam beäugelt, wenn man in seinem Umfeld kundtut, dass man mal ein paar Monate nicht arbeiten und sich stattdessen auf eigene Faust weiterbilden will. Ich denke, ich könnte mich auch nicht den ganzen Tag einem Weiterbildungsprojekt widmen, nach ein paar Stunden hab ich meist die Nase voll. Auf Reisen lässt sich das optimal kombinieren, man kommt zusätzlich an die frische Luft und findet ständig neue Inspiration. Natürlich könnte man zu Hause sein Arbeitspensum herunterfahren, aber auch nach 5h Büro hab ich eher begrenzt Bock auf weitere geistige Tätigkeiten.

Zum Thema Organisationstalent: Ich gebe dir schon recht, gerade wenn man schon etwas Reiseerfahrung hat, geht das absolut locker von der Hand. Ein Genie muss man dazu keinesfalls sein. Aber bedenke mal, wie viele Leute sich total schwer damit tun, nur schon einen kleinen Städtetrip selbst zu organisieren. Ein grosser Teil der Reiseindustrie lebt ja von diesem Umstand.

Und genau so lassen sich doch auch diverse andere Dinge im Leben organisieren: Man liest sich etwas ins Thema ein, fragt Personen, die mehr vom Thema verstehen, trägt die Infos zusammen und trifft Entscheidungen. Ich möchte nicht behaupten, dass es sich dabei um Rocket Science handelt. Die Organisation eines Kongresses für mehrere hundert Teilnehmer in einem fremden Land erfordert sicherlich ein wenig mehr Planung als sich auf Reisen treiben zu lassen.

Ich jedenfalls höre in meinem Umfeld immer mal wieder: Das könnte ich nie! Wie organisierst du denn das alles unterwegs? Einfach mal irgendwo hin gehen? Und wenn X oder Y oder Z passiert? Ich antworte dann auch immer, dass das alles ziemlich locker funktioniert und quasi ein Selbstläufer ist. Glauben will dies allerdings längst nicht jeder.

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gismarett

« Antwort #3 am: 18. September 2015, 18:10 »
Ich habe mir diese Frage auch bereits gestellt!  :)

Vorallem da ich aktuell als Student daran gewöhnt bin ständig etwas zu machen, dachte ich auch daran beim Reisen (nach dem Master) auch weiterhin mich bewusst zu entwickeln. Zeit findet man sicherlich immer mal wieder aber es gibt da aus meiner Perspektive ganz andere Probleme.

Ein Buch zu lesen und Fachdiskussionen sind ja schön und gut.... Aber das bringt mich nur bedingt weiter. Viele Inhalte werde ich wohl auf die Dauer wieder vergessen (so ist es ja auch aktuell im Studium)! Aus dem Grund werde ich dann auch nur etwas lesen, wenn es mich besonders interessiert. Dinge die man sich umbedingt beibringen möchte (kp sowas wie Programmieren oder diverse Programmkenntnise etc.) werde ich nur lernen wenn es wirklich mein Wunsch ist. Also nicht wenn ich mir nur denke: "Ja das könnte ich später mal brauchen" oder sowas.

Dann dachte ich an ein zeitlich flexibeles Fernstudium. Damit könnte man ja beispielsweise auch schon vor der Reise beginnen oder es danach weiter machen. Die Zeit (Reisezeit) also nur als Zusatzzeit nutzen wie man gerade lust hat. Aber das ist oft nicht mit dem Reisebudget zu vereinen und oft gibt es trotzdem Präsenztage für Prüfungen etc und damit fällt das wohl auch weg. Es gibt allerdings auch Studiengänge, welche komplett mit Online learning Systemen absolviert werden. Ich kenne mich da aber zu wenig aus um sichere Aussagen treffen zu können.

Also denke ich das lernen in einem organisierten Kontext nur schwer möglich ist...
Aber ich weis von Freunden 2 etwas spezielle Ausnahmen:

1. Person A Student ist im letzten Semester gereist und hatt dann unterwegs die Masterarbeit geschrieben (deutlich langsamer aber es ging).
2. Person B war in Südamerika unterwegs und hat zufällig auf der Reise ein Forscherteam kennengelernt und ist dann für Kost und Logie mit in den Regenwald zu Forschungszwecken. Ich denke bzw. hoffe das sich solche bzw. ähnliche Möglichkeiten immer mal ergeben werden....
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