Thema: Blues..oder doch Krise..?  (Gelesen 2323 mal)

Tessiner

« am: 26. Juli 2014, 09:57 »
Hallo zusammen,

ich war mit meiner Freundin 4,5 Monate unterwegs, in SOA, Australien und Afrika (in Ruanda Volunteering). Jetzt sind wir seit Ende Mai wieder zu Hause, und anfangs kam es mir vor als wäre die Landung doch sehr sanft von Statten gegangen.

Nach ca. 6 Wochen habe ich aber jetzt langsam das Gefühl, dass ich ohne es zu merken mitten in einer Krise stecke. Das hängt wohl einerseits damit zusammen, dass ich bereits 1 Woche nach meiner Rückkehr sofort wieder im (alten) Job drin war, und somit dem gleichen Stress und Druck wie vor der Reise ausgesetzt war (zwar mit einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen, aber nicht in wirklich befriedigender Weise). Das alles hat wohl keinen Platz gelassen um das Erlebte zu verarbeiten oder um sonstwie meinen "post-Reise" Lebensstil in Frage zu stellen.

Die doch sehr emotionalen Erlebnisse, insbesondere in Kambodscha (Armut, Genozid) und Ruanda (Genozid, Freiwilligenarbeit), haben viele Spuren hinterlassen, v.a. wenn ich sehe wie arm und doch lebensfroh diese Menschen sind und wie verbissen und unglücklich wir hier in unserer Gesellschaft des Überflusses uns fühlen. Allerdings war kaum Platz für diese Gefühle nach der Rückkehr, vor lauter Alltag und Arbeitsstress, aber das alles scheint nun hochzukommen und sich seinen Platz zu "erzwingen".

Dazu kommen nun immer mehr Zweifel, ob ich dieses Leben so weiter führen will - insbesondere meine Beziehung. Ich kann meine Gefühle nicht richtig einschätzen (normalerweise war das nie ein Problem), und ich weiss nicht so recht ob das mit der Gesamtsituation zusammenhängt oder ob es wirklich an der Zeit ist auch beziehungstechnisch Konsequenzen zu ziehen.
Vielleicht als Anmerkung, ohne zu sehr ins Detail zu gehen: Was die Beziehung angeht, hat die Reise eigentlich relativ gut geklappt abgesehen von ein paar heftigen Diskussionen, aber wir haben ein Kommunikationsproblem das wir in 4,5 Jahren zwar verbessert haben aber wohl nie in den Griff bekommen werden. Das führt zu regelmässigen Diskussionen, die sehr kräftezährend sind. Und nun vielleicht erste wirklich "ernsthafte" Spuren hinterlassen hat, jedenfalls bei mir.

Was mir am meisten Kopfzerbrechen bereitet ist, neben der Gesamtsituation, dass eine solche Reise eine Beziehung entweder zusammenschweisst oder dass sie daran zerbricht. Bei uns hingegen ist keines von beidem wirklich eingetreten, allerdings muss nun eine Entscheidung her - dafür oder dagegen.

Sorry falls das Posting etwas konfus wirken sollte..das würde dann allerdings meinen Gemütszustand ziemlich gut wiederspiegeln  :-\ :)

Hattet ihr auch schon ähnliche Situationen nach eurer Rückkehr? Zweifel und Fernweh bestimmt, aber auch beziehungstechnisch?

vielen Dank schonmal
Gruss
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Radlerin

« Antwort #1 am: 27. Juli 2014, 19:03 »
Bei mir ging es nach 4 Monaten Reise auch viel zu schnell wieder los im Beruf, vom 0 auf 100. Ich hatte zuwenig Zeit mich hier wieder einzuleben und das hat echt ein paar Monate gedauert, weil ich viel Zeit für mich brauchte bzw. wir beide viel Zeit zu zweit, das waren wir ja durch die Reise auch so gewöhnt.
Einmal hatte ich echt eine Krise, hab von der Arbeit sogar geträumt und da merkte ich, so geht das nicht weiter, ich muss meine Einstellung ändern und mich nicht so stressen lassen. So langsam klappt das auch. Ich habe festgestellt, ich bin in der Hinsicht selbstbewusster geworden und wenn ich sachlich was sage, passiert auch oft was, oh Wunder.

Beziehungstechnisch war es super, insgesamt gesehen. Nach ein paar Tagen hatten wir den Lagerkoller und da kamen so Themen hoch, für die man sich im Alltag die Zeit nicht nimmt, da hats auch mal gekracht, was ich aber eigentlich gut finde.
Und anfangs hatte ich das Gefühl, jede Woche kann ich eine Runde Stress loslassen und werde lockerer. Später waren die Abstände grösser, aber da gab es auch immer nochmal so stufenweise mehr Gelassenheit, Erholung und Tiefenentspannung.
Kurz vor Reiseende haben wir auch wieder gestritten und festgestellt, dass da bei beiden die schlechte Laune dahintersteckt, weil die Reise zu Ende geht, es hatte also im Grunde weniger mit dem Partner zu tun.

Du schreibst
Zitat
Was die Beziehung angeht, hat die Reise eigentlich relativ gut geklappt
Das klingt jetzt nicht so wirklich entspannt und glücklich. Habt ihr euch einfach Mühe gegeben, weil ihr ja schliesslich zusammen gereist seid? Wie ist es denn jetzt, lasst ihr diese Gefühle von der Reise gemeinsam Revue passieren, oder lebt jeder so vor sich hin und macht das mit sich aus? Habt ihr euch während der Reise genug Zeit für Zweisamkeit genommen, habt ihr gemeinsame Pläne geschmiedet?

Bei uns ist es so, dass die Beziehung eher durch zu wenig Zeit im Alltag belastet wird, aber bei Reisen immer aufblüht und zusammenschweisst. Man lernt sich besser kennen. Was auch nicht jeder will (ich bin immer baff, wenn Leute gar nicht so gern mit ihrem Partner wegfahren....)
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Tessiner

« Antwort #2 am: 27. Juli 2014, 23:43 »
Hallo Radlerin,

danke für Deine ausführliche Antwort.
Das mit dem Wiedereinleben trifft den Nagel auf den Kopf. Ich hatte dazu kaum Gelegenheit, und das holt mich nun ein. Ich bin allerdings auch selbstbewusster geworden und überlasse weniger dem Zufall, v.a. wenn es um mich und mein Leben geht (beruflich und privat). Da scheint es ja Parallelen zu geben nach so einer Reise  :D

Während der Reise lief es ziemlich gut, bis auf 3-4 grössere Streitereien, und auch die Schwierigkeiten und Herausforderungen haben wir (überraschenderweise gut) gemeistert. Dennoch ist jetzt wieder der Wurm drin, und ich frage mich wie es möglich ist, nach so einer Reise nicht ein endgültiges Fazit ziehen zu können. Ich glaube wenn es spätestens jetzt nicht funktioniert (obwohl wir es beide wollen), an was kann man sich noch festklammern um die Hoffnung nicht zu verlieren....?

Du schreibst
Zitat
Was die Beziehung angeht, hat die Reise eigentlich relativ gut geklappt
Das klingt jetzt nicht so wirklich entspannt und glücklich. Habt ihr euch einfach Mühe gegeben, weil ihr ja schliesslich zusammen gereist seid? Wie ist es denn jetzt, lasst ihr diese Gefühle von der Reise gemeinsam Revue passieren, oder lebt jeder so vor sich hin und macht das mit sich aus? Habt ihr euch während der Reise genug Zeit für Zweisamkeit genommen, habt ihr gemeinsame Pläne geschmiedet?


Wir haben öfters über die Reise gesprochen, allerdings nur wenig da im Alltag die Zeit fehlte. Sofort nach der Rückkehr (mittlerweile sind 2 Monate vergangen) lief es super, und wir hatten uns auch entschlossen ein Kätzchen anzuschaffen was ihr jahrelanger Wunsch war. Dann aber gab es wieder "Rückfälle" und nun fühle ich mich ziemlich verunsichert.....
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MissMojo

« Antwort #3 am: 28. Juli 2014, 04:43 »
Und wenn ihr euch mal die Zeit nehmt und ein Video, eine Collage oder sowas erstellt - etwas kocht was ihr vermisst und auf der reise schätzen gelernt habt, durch die Fotos blättert und euch an Kontakte erinnert? Ich meine das sind doch so Momente wo man merkt "gibt mir das gerade was das mit ihm/ihr erlebt zu haben?" ihr könntet euch einfach mal einen abend über eure erlebnisse austauschen, was waren die top 5 der persönlichen momente, wo habt ihr am strand getanzt, wer hat wem die haare in welchem hostelklo gehalten, wer hatte wann angst vor der spinne die der andere beseitigen musste und all sowas. ich glaube das wäre so gerade mein ansatzpunkt.
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