@karoshi und andere
Ja, das mit der Missinterpretation stimmt, man haette meine Aussagen als Abraten verstehen koennen und gerade in Deutschland, wo in der Oeffentlichkeit so ein merkwuerdiges Verhaeltnis zu anderen Kulturen herrscht, sogar Schlimmeres.
Das will ich natuerlich um Himmels Willen nicht, sondern ich wollte nur etwas mitteilen, was mir zu den Gefahren klargeworden ist. Ich bewirtschafte seit einem Jahr in Huila/Kolumbien eine kleine Kaffee-Farm (wo wir auch ein Appartment fuer Feriengaeste haben), bin mit einer Einheimischen verheiratet. Uns ist bisher ausser ein paar Betruegerein und zwei bewaffneten Ueberfaellen in Minas Gerais / Brasilien vor zwei Jahren nichts passiert und ich habe mich nicht ein Mal bedroht gefuehlt.
Aber ich kann mir inzwischen ein ziemlich klares Bild von den Ursachen der Gewalt und Kriminalitaet machen, was mir noch vor vier Jahren, als mir Suedamerika 'nur' aus Erzaehlungen, Medienberichten und ein paar Reisen bekannt war, ein Raetsel war.
Die Anlaesse bestehen im Ursprung wahrscheinlich im Aufeinandertreffen, bzw. Vermischen indianischer Kulturen und dem mittelalterlichen Feudalismus der iberischen Halbinsel, der die europaeische Zivilisation mit all ihren ethischen und technischen Errungenschaften sehr einseitig und als unglaubwuerdig praesentierte. Andererseits verstehen die Indianer, wenn ich mit meinen hauptsaechlich indianschen Nachbarn spreche, an den Europaern nach wie vor nicht, weshalb man immer vorwaerts schreiten, etwas erreichen, vergroessern, erweitern, verbessern, Taten vollbringen soll.
Nun ist inzwischen auch in Spanien das Mittelalter und der Einfluss auf Lateinamerika laengst vorbei, in Suedamerika gibt es fast keine reinrassigen Menschen mehr, sondern alle sind vermischt, man hat nach Nationalisierung, Buergerkriegen und Drogenkriegen mehr oder weniger laufende Demokratien und moderne Gesellschaften mit ordentlichen Bildungsmoeglichkeiten, und auch die Indianer koennen einsehen, dass ihr klassisches Lebensideal nur dann funktioniert, wenn eine Handvoll Menschen in uebermaechtiger, ueppiger Natur allein ist.
Aber das Grundproblem und seine Folgen sind im Alltag noch immer sichtbar. Wer einem Arbeiter klarmachen muss, dass die Lohnstueckkosten ein wichtiges Kriterium sind und dass das Fertigstellen eines Bauabschnitts wichtiger ist als Karneval, der kann so viel reden und zahlen wie er will, er muss entweder einen geladenen und entsicherten Revolver benutzen und in Kauf nehmen, spaeter umgebracht zu werden, oder er scheitert. Wer meint, das menschliche Leben habe einen so hohen Stellenwert wie in Deutschland, der erlebt sein blaues Wunder. Wer aeussert, dass man in einer unuebersichtlichen Kurve besser nicht ueberholt, der wird so lange als phantastischer Spinner angesehen, bis es gekracht hat. Wer glaubt, zertifizierte Kranfuehrer mit Fuehrerschein wuessten oder liessen sich erklaeren, dass das maximal anhaengbare Gewicht vom Winkel des Kranarms abhaengt, der irrt. Wer der Meinung ist, eine mit jahrzehntelang erfahrenden Landarbeitern abgehaltene Besprechung zur Organisation der Ernte eines trapezfoermigen Kaffeefeldes fuehre zu klarerer Arbeitsstruktur, der wird eines besseren belehrt, da sich niemand vorstellen kann, dass man fuer jede Reihe etwas laenger braucht, je naeher man der laengeren Grundlinie des Trapezes kommt. Bei der Genossenschaft fuer Bohnenanbau weiss keiner, ob ein Schaedling eine Milbe, Insekt, Ameise oder Pilz ist, und Bohnen haben in den Anden ueber 5000 Jahre Tradition. Das sind meist Sachen, zu denen muss man noch nicht einmal hohe Schulbildung haben. Und hier reden wir von normalen, anstaendigen Menschen, die bereit sind, sich ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen.
Organisierte oder gewoehnliche Verbrecher mit Waffen haben dann ein noch weit niedrigeres Niveau, die wollen sich selbst die Muehe, die sich die anderen immerhin geben, ersparen.
Die ganzen Stories um Drogen, Politik, illegale Gewaltgruppen aller moeglichen Couleur, Diskriminierungen, Gesellschaftsstrukturen, Klima- und Kolonialsuenden, Migration, Verbrecherbanden, Angst und Terror und die Aktionen, um das in den Griff zu bekommen - alles ok, gibt es alles, sind alles Probleme und Anlaesse.
Aber was ursaechlich zu Unberechenbarkeit, Kriminalitaet und Gewalt fuehrt, sind genau diese paradoxerweise im Grunde harmlosen und laecherlichen Banalitaeten und deswegen ist es potenziell gefaehrlich.