REISEN IN DER PANDEMIE
Nur geimpft, mit vier Tests und 300 Euro Zusatzkosten: Die Odyssee in Thailands Tourismus-Zentrum
Ein Pilotprojekt auf der Ferieninsel Phuket soll Thailand nach 15 Monaten Abschottung wieder für Urlauber öffnen. Doch der große Andrang bleibt zum Start aus.
Phuket Während Thailands Regierungschef Prayut Chan-ocha in einem Einkaufszentrum der Ferieninsel Phuket vor einer grellen LED-Wand den Neustart des Urlaubsgeschäfts zelebriert, wartet Borvornsit Kulteeraprasert vergeblich auf Kundschaft. Ein paar Meter entfernt von den offiziellen Feierlichkeiten hat der frühere Fremdenführer einen Stand für getrocknete Bananen aufgebaut.
Bis zum Mittag verkaufte er keine einzige Packung. „Seit vergangenem Jahr haben wir so gut wie kein Einkommen mehr“, sagt der 54-jährige Familienvater. Seine Stromrechnung habe er seit Monaten nicht mehr bezahlen können. „Ohne Unterstützung halten wir höchstens noch ein paar Monate durch.“
Der Kleinunternehmer ist mit den Schwierigkeiten nicht allein. Die vom Reisegeschäft abhängige Wirtschaft des Urlaubslands steckt nach 15 Monaten Abschottung in einer tiefen Krise. Mit dem Pilotprojekt „Phuket Sandbox“, zu dessen Start Premier Prayut auf die Insel in der Andamanensee reiste, will sich Thailand nun aber wieder für Touristen öffnen.
Erstmals seit der Grenzschließung in Folge der Coronakrise dürfen vollständig Geimpfte ohne Quarantäne einreisen – ein Meilenstein für die Tourismusbranche, die sich dadurch eine Rückkehr zur Normalität erhofft. Doch zum Start bleibt der große Andrang aus. Bürokratische Hürden schrecken Reisende ab. Neue Höchststände bei Thailands Infektionszahlen sorgen zusätzlich für Verunsicherung.
Die langsame Rückkehr der internationalen Gäste können Journalisten an Phukets internationalem Flughafen durch eine Glaswand beobachten. Als erster Flieger landete am Donnerstag eine Boeing 787 der Airline Etihad. Weniger als 30 Passagiere verlassen die Maschine, die normalerweise bis zu 300 Personen befördert. Bis zum Abend kommen Flüge mit knapp 250 Gästen an – gerade einmal ein Prozent der durchschnittlichen täglichen Urlauberzahlen auf Phuket vor Beginn der Coronakrise.
Hohe Hürden für den Thailand-Urlaub
Lars Schreiber kam am Samstag mit dem ersten Direktflug aus Deutschland auf der Ferieninsel an. Der Thai-Airways-Flug aus Frankfurt sei gerade einmal zu einem Drittel voll gewesen, sagt er. Offiziellen Angaben zufolge waren 65 Passagiere an Bord. Vor dem Abflug musste der 43-jährige Hamburger eine Reihe an Dokumenten an die thailändischen Behörden schicken – Impfnachweise, Hotel- und Flugbuchungen, die Bestätigung einer Covid-19-Krankenversicherung und eine Quittung für im Voraus bezahlte Corona-Tests.
Mehrfach wurde sein Einreiseantrag abgelehnt – in erster Linie, weil die genauen Regeln erst wenige Tage vor dem Start des Pilotprojekts endgültig festgelegt wurden. „Da wird man schon ein wenig wütend und fühlt sich nicht wirklich willkommen“, sagt Schreiber. „Für die Einheimischen ist die Situation aber offensichtlich noch schwieriger als für uns“, sagt er mit Blick auf die leeren Strände und abgeriegelten Geschäftslokale, die er auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel zu Gesicht bekommen hat.
Phuket – früher das Zentrum von Thailands Massentourismus – leidet so sehr wie keine andere Region im Land unter dem Kollaps der Reisebranche, der seit Beginn der Coronakrise in Thailand zum Verlust von zwei Millionen Arbeitsplätzen geführt hat. Mit 40 Millionen Touristen im Jahr 2019 stand das Tourismusgeschäft Schätzungen zufolge zuletzt für bis zu 20 Prozent der Wirtschaftsleistung. Mit der Einführung einer 14-tägigen Quarantäne für alle Einreisenden brach die Urlauberzahl jedoch ein – im Mai lag sie mehr als 99 Prozent unter dem Wert von vor zwei Jahren.
Die strikte Abschottung will sich das Land nun nicht mehr leisten – obwohl die Zahl der täglichen Neuinfektionen mit mehr als 6000 Fällen pro Tag derzeit auf dem höchsten Stand seit Pandemiebeginn liegt. „Tourismus ist unsere wichtigste Einnahmequelle“, sagte Regierungschef Prayut bei seiner Phuket-Tour. „Wir müssen die Risiken, die damit einhergehen, gemeinsam akzeptieren.“
Doch trotz dieser Erkenntnis setzen die Behörden nach wie vor auf hohe Vorsichtsmaßnahmen – und nehmen dabei in Kauf, die Attraktivität der Urlaubsdestination massiv einzuschränken: Wer im Rahmen der „Phuket Sandbox“-Initiative einreist, darf frühestens nach 14 Tagen von der Insel in andere Landesteile weiterreisen. Die geimpften Gäste müssen zudem vier Mal auf das Coronavirus getestet werden – einmal vor der Abflug und drei Mal auf Phuket.
Für Reisende aus Deutschland kommen allein dadurch Zusatzkosten von rund 300 Euro pro Person zustande. Sollte ein Test positiv ausfallen, werden auch symptomfreie Personen zwangsweise isoliert – Urlauber stehen damit vor dem Risiko, dass Rückreisepläne im schlimmsten Fall massiv beeinträchtigt werden können.
Reisen nach Thailand: Tourismusbranche hofft auf weitere Erleichterungen
Branchenvertreter sehen die Regelungen mit Skepsis: „Die Beschränkungen sind aktuell noch sehr hoch“, sagt Gerd Kotlorz, der auf Phuket ein Hotel der Kette Marriott leitet. Prinzipiell begrüße er zwar den ersten Öffnungsschritt. Er hoffe aber, dass es zu weiteren Vereinfachungen komme, um das Modell für Touristen attraktiver zu machen. „Wir können hier nicht ewig eingeschlossen bleiben.“
Auch in der Gemeinde Patong – ehemals das touristische Zentrum Phukets – wachsen die Zweifel, ob die Grenzöffnung tatsächlich zu signifikant steigenden Gästezahlen führt. Entlang der Strandstraße ist ein Großteil der Ladenlokale verriegelt. Kartons kleben an den Schaufenstern.
„Zu vermieten“-Schilder hängen an den Hausfassaden. Am Strand steht Patcharee Pittong vor zwei leeren Liegestuhlreihen. Sie vermietet die Liegen für umgerechnet 2,60 Euro am Tag. Aber auch nach dem Start der Einreiseerleichterungen nimmt kaum jemand Platz: „Ich glaube, dass die neuen Regeln für viel Verwirrung sorgen“, sagt die 27-Jährige. „Wir können nur hoffen, dass die Gäste dennoch kommen.“
An der Strandpromenade neben ihr marschiert eine Straßenverkäuferin mit Plastiktüten voller Sesampfannkuchen auf und ab. Die Frau, die sich mit ihrem Vornamen Suganya vorstellt, sagt, sie habe früher in einem Hotel gearbeitet. Seit dessen Schließung versuche sie mit dem Streetfood-Verkauf über die Runden zu kommen.
Abzüglich der Kosten verdiene sie lediglich fünf Euro am Tag. „Freunde in meiner Heimatprovinz fragen mich, ob es jetzt auf Phuket wieder Jobs gebe“, sagt sie. „Ich antworte ihnen: Bleibt zuhause, hier ist gar nichts los.“
Besonders deutlich wird der Touristenmangel abends an Patongs berühmte Partymeile Bangla, die inzwischen komplett ausgestorben ist. Die grellen Neonlichter, die normalerweise die Straße erleuchten, sind erloschen – Covid-19-Restriktionen verbieten den Betrieb der Bars und Nachtclubs.
Sie waren in der Vergangenheit für viele Urlauber zwar die Hauptattraktion der Gegend – doch einen größeren Virusausbruch wollen die Behörden auf der Insel nicht riskieren. Sie warnen: Sollten Phukets Infektionszahlen auf mehr als 90 pro Woche steigen, könnten die Einreiseerleichterungen schon bald wieder gestrichen werden.
Quelle: Handelsblatt