Moin ihr Lieben,
folgende Situation: gerade (vor ziemlich genau zwei Monaten) bin ich mit meinem Partner von unserer einjährigen Weltreise (SA, SOA, NZ, OZ) zurückgekehrt. Davor (zwischen Grund-und Hauptstudium) bin ich schon einmal mit meinem Exfreund für sechs Monate in der Weltgeschichte (SOA) unterwegs gewesen und bin auch "zur Überbrückung", bis es wieder "richtig" losgeht, viel in Europa gereist, hauptsächlich Trekking- und Radwanderreisen, aber auch klassisches Backpacking. Ich bin mittlerweile fast 32 Jahre alt, mein Freund 35 Jahre, also im "besten Alter" um endlich mal seßhaft zu werden, eine Familie zu gründen usw. In meiner Umgebung passiert das auch überall. Ehemalige Kommilitonen, Schulkameraden und Freunde: überall wird eifrig an der Karriere gebastelt, Häuser gebaut und werden Kinder in die Welt gesetzt. Auf der einen Seite kann ich das bewundern und spüre auch ein gewisses Bedürfnis nach "einem Platz zum Wurzeln schlagen" und Wunsch nach Kindern und im beinahe selben Atemzug denke ich "Oh Gott, Hilfe, bloß nicht!"
In mir wiederstreiten so stark Gefühle und Bedürfnisse, dass ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll und mir daraus ein weitergehendes Leben basteln soll. Einerseits der starke Wunsch, ja das Bedürfnis, zu reisen. Ich kann es eigentlich fast nicht rational begründen, ich will irgendwie einfach nur all das Großartige sehen und erleben, was es zu entdecken gibt. Ich sehe meine Mutter, die Zeit ihres Lebens zurückgesteckt hat und jetzt weiß, dass sie wahrscheinlich nicht mehr all das erleben kann, was sie gerne möchte und es nur in kleinen Schritten schafft, das Versäumte nachzuholen. Dazu kommt, dass mein Vater wegen einer Gehbehinderung extrem mobilitätseingeschränkt ist. Das bedeutet Einschränkungen für meine Mutter, aber vielleicht, oder sicher, auch mal für mich in einigen Jahren, wenn meine Eltern zunehmend hilfebedürftig sein werden. Mir ist klar, dass jeder sein Leben leben muss, aber eine gewisse soziale Verantwortung habe ich auch, nicht immer werde ich den Egoismus leben können, dem ich durch meine familiäre Ungebundenheit heute frönen kann. Gleichzeitig kommt ein richtiggehendes Fluchtgefühl auf, wenn ich daran denke, sesshaft werden zu sollen, mich durch Kinder oder Immobilien zu binden, nicht oder nur eingeschränkt (Kurzzeitreisen, Jahresurlaub etc.) reisen zu können. Klar, ich habe bereits das Glück gehabt, unterwegs gewesen zu sein, habe bereits mehr gesehen, als andere in ihrem ganzen Leben sehen werden. Dafür bin ich auch nicht undankbar, ich kann diese Erfahrungen und Möglichkeiten, die ich hatte wertschätzen. Doch da ist dieser Drang nach mehr. Ich habe eine absolute Abneigung dagegen, mich festlegen zu sollen, meine Freiheit und Unabhängigkeit einzubüßen. Da reicht es schon, dass ich mir jetzt einen neuen Job suchen muss. Wie lange nagelt der mich wohl fest? Im Moment sitze ich über den 60 GB Fotos der Weltreise und könnte beim Sortieren auf die Tastatur des Notebooks heulen, aus Angst, dass es das jetzt gewesen sein könnte. Auf der anderen Seite stehen das Bedürfnis nach Familie, Partnerschaft. Schließlich ist man auch nicht immer jung und mobil. Wer ein Vagabundenleben wählt, zahlt der nicht irgendwann auch immer den Preis dafür in der Währung sozialer Unsicherheit und Nichteingebundenseins, in fehlenden Familienstrukturen und nicht zuletzt (finanzieller) Alterssicherheit?! Um das reine "Reisen können" mit Kindern geht es mir gar nicht- solche Aspekte wurden schon ausführlich und konstruktiv diskutiert und ich kann mich auch darin wiederfinden (z.B. der Thread von Mimmi: Reisen oder Kinder-Reisen mit Kindern?), ich denke nicht, dass mich eine Mutterschaft grundsätzlich am Reisen hindern würde. Mir geht es eher um den Widerspruch von Freiheit, Vagabundenleben, Unabhänigkeit kontra Arbeitsleben, Nestbau, Familiengründung. Was ist, wenn man alles will? Welchen Preis zahle ich? Was sind Lebenskonzepte, die vielleicht alles vereinen können? Als Sozialpädagogin verdiene ich nie das große Geld, d.h. Sparintervalle sind relativ lang, aber wenn ich schon hier sein "Muss", um Geld zu verdienen, bin ich in meiner Lebensführung auch nicht anspruchslos, vielleicht als Kompensation. So sind z.B. Klettern und Mountainbiken nicht gerade billige Hobbies. Und der "Geiz-ist-Geil"-Einkäufer bin ich auch nicht, fahre eher die Bio-Schiene. Beruflich bekomme ich das nächste Problem: in traditioneller Sozialarbeit (offene Jugendarbeit, Jugendamt, Soziale Hilfen, Kindeswohlgefährdung etc.) finde ich mich nicht wieder. Ich möchte im Bereich Umwelt-, Natur- und Erlebnispädagogik/Handwerk arbeiten. Da ist der Arbeitsmarkt aber grottig, die Leute arbeiten meist selbstständig oder als Freelancer. Aber damit verdient man selten genug, um sich große Reisen (oder bei der seßhaften Variante so was wie ein Haus im Grünen) zu finanzieren und: man muss sich festlegen. Auf mehrere Jahre. Um überhaupt in schwarze Zahlen zu kommen. Grauslich.
Also hab ich ein prima komplexes Gefühlswirrwarr konstruiert: eigentlich will ich nicht in Deutschland sein, weil ich noch so viel sehen will. Jetzt bin ich aber wieder da, mit leerem Konto, ohne irgendwelche reifen Bausparversträge oder andere Geldanlagen, fast 32 Jahre alt, will nicht auf Familie verzichten, kann mich aber auch nicht mit den Einschränkungen und dem Unabhängigkeitsverlust anfreunden, der mit Familie und einem "sicheren" Job einhergeht. Ich habe gewisse Ansprüche an die Lebensführung und Gestaltung. Ich sehe mich in gewisser sozialer Verantwortung, will aber meinem Egoismus frönen können und mich nicht einschränken müssen. Wenn ich schon hier sein muss, und wenn ich einen Job machen will, der mich halbwegs glücklich werden lässt, dann erfordert der genau das, wovor ich den größten Horror habe: zeitliche und örtliche Festlegung auf längere Sicht und wahrscheinlich ziemlich wenig Geld, um mir nach einer Arbeitsphase wieder die Unabhängigkeit erkaufen zu können.
Wie kann ich das Knäuel nur entwirren??? Gibt es nur Varianten, die einen Kompromiss darstellen und wo mehr oder weniger immer ein Bedürfnis unterdrückt wird?