Thema: Abgestumpft vom reisen - Staunen verlernt?  (Gelesen 4841 mal)

Reisenoob

« am: 05. März 2015, 06:37 »
Hi,

ich wollte euch mal fragen, ob ich der einzige bin, dem es so geht.
Vielleicht kennt das ja noch jemand.

ich erinnere mich an meine erste große Reise (die noch nicht sooo lange her ist). Ich bin dort einfach (NZL) an jedem Ort wieder aufs neue ins Staunen gekommen. Jedes Mal habe ich gedacht: wow, das muss der schönste Ort auf der Welt sein, unglaublich dass ich die Chance habe, so etwas zu sehen. Ich habe mich frei und dankbar gefühlt und war vollkommen im hier und jetzt.

Mit weiterem Reisen sind diese Momente leider seltender geworden. Oft sehe ich sogar etwas tolles und weiß bewusst, dass es total schön ist, aber ich kann es nicht richtig fühlen. Vielleicht, weil ich im Kopf bin un den Ort mit anderen vergleiche, die ich schon gesehen habe.
Jedenfalls führt das dazu, dass ich nicht mehr 100% geniessen kann.
Trotzdem reise ich natürlich weiterhin sehr gerne und finde es toll, was man alles sieht und welche Erfahrungen man macht.

Kennt ihr das angesprochene Problem, und habt ihr vielleicht sogar Strategien dagegen entwickelt?
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Niels

« Antwort #1 am: 05. März 2015, 07:05 »
Jupp,
geht mir gerade genauso. Ich merke das unter anderem daran, dass ich deutlich weniger Fotos mache.
Ich reise immer noch gerne, aber viele Dinge wiederholen sich einfach und ich springe z.b. nicht mehr bei jedem Affen dem ich auf der Strasse begegne mehr im Dreieck.
Es ist etwas Schade, diesen vl. naiven und "unverdorbenen" Blick zu verlieren, aber insg. vermutlich sehr normal.
Strategien dagegen? Nicht wirklich, wobei ich vll. nun mehr Wert auf Details lege und mich mehr an kleinen Dingen erfreuen kann.

Viele Grüsse
Niels
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White Fox

« Antwort #2 am: 05. März 2015, 19:36 »
Es stimmt leider schon. Schon nach der ersten Reise setzt ein gewisser "Gewöhnungeffekt" ein. Das ist ja auch ganz normal. Auf der anderen Seite muss ich aber auch sagen, dass es danach in etwa gleich bleibt, man verliert nicht mehr und mehr das Staunen. Es sei denn man ist vielleicht sehr lange am Stück unterwegs.
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GPS

« Antwort #3 am: 05. März 2015, 20:28 »
Kenne auch das Gefühl, das Gefühl (des Staunens) zu verlieren. Aber wenn man den größten/höchsten/weitesten/blauesten/.... gesehen hat, ist man mit dem zweitgrößten/zweithöchsten/zweit.... einfach nicht mehr zufrieden.
Irgendwie schade, aber ist halt so. Dafür hört man nicht auf nach solchen aussergewöhnlichen Dingen zu suchen.

Und wenn ich mit meinem 1-jährigen Sohn spazieren gehe, und für 10m eine halbe Stunde brauche, weil er jeden Kieselstein oder jedes Blatt wie ein Weltwunder anschaut, dann ist das offenbar einfach normal im Leben diese Faszination für Dinge irgendwann zu verlieren. Für mich ist es (leider) nur ein Blatt oder ein Kieselstein.

GP
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Surfy

« Antwort #4 am: 06. März 2015, 06:29 »
Das geht mir auf längeren Trips so, wenn ich zuwenig Pausen mache.

Natürlich zückt man den Fotoapparat nicht mehr wenn am 6sten Tag in Folge eine Elefantenherde vor dir den Track überquert.

Angenommen Du arbeitest ein Jahr und fährst wieder in den Urlaub und siehst eine Elefantenherde staunst Du erneut, und zückst den Fotoapparat - jede Wette..

Mit den hier (im Forum) oft betriebenen Weltreisen - wird oft soviel wie möglich in ein Zeitfenster hineingepresst, die Ruhephasen sind nicht existent. Nach einigen Wochen Reisedauer ist das Reisen dein Alltag und es braucht unglaubliche Highlights um Dich umzuhauen.

Mit meiner Transafrika in 2 Monaten habe ich dass genauso überreizt wie obenstehende.

Ich hoffe es jetzt auf der Panamerikana besser hin zu bekommen - bin seit Januar unterwegs - dh komme auch an dieses Zeitfenster heran  ;)

Bin gespannt ob ich das Reisen diesmal besser Dosieren kann  ??? Bis anhin treiben mich allerdings die Umstände und das Wetter voran - die Anden sind bald auch im 4x4 nicht mehr befahrbar - bzw zumindest die möglichen Strecken werden kleiner.

Surfy

serenity

« Antwort #5 am: 06. März 2015, 06:35 »
Kenne auch das Gefühl, das Gefühl (des Staunens) zu verlieren. Aber wenn man den größten/höchsten/weitesten/blauesten/.... gesehen hat, ist man mit dem zweitgrößten/zweithöchsten/zweit.... einfach nicht mehr zufrieden.
Irgendwie schade, aber ist halt so. Dafür hört man nicht auf nach solchen aussergewöhnlichen Dingen zu suchen.

Und wenn ich mit meinem 1-jährigen Sohn spazieren gehe, und für 10m eine halbe Stunde brauche, weil er jeden Kieselstein oder jedes Blatt wie ein Weltwunder anschaut, dann ist das offenbar einfach normal im Leben diese Faszination für Dinge irgendwann zu verlieren. Für mich ist es (leider) nur ein Blatt oder ein Kieselstein.
Muss nicht so sein.
Vielleicht ist es genau dann an der Zeit, mal in die Tiefe zu gehen. Also nicht immer wieder "supertolle" neue Ziele aussuchen, sondern ganz bewusst irgendwo hin gehen, wo man schon war. Und dann auch mal auf die Details achten.

Z.B. Nordthailand - da war ich inzwischen ca. 5 oder 6 Mal. Beim ersten Mal waren es Tempel, Bergvölker, alles, was "Must-Sees" und "Must Does" sind. Dann bei jeder weiteren Reise immer mehr Details - Zeit, geruhsam am Mekong entlang zu gondeln, Zeit, mal einfach eine Stunde bei einem Kaffee in der grandiosen Berglandschaft von Mae Salong zu vertrödeln. Zeit, in Chiang Mai KEINE Tempel anzusehen, dafür durch kleine Gassen zu streifen. Zeit, eine Wanderung in den Bergen zu unternehmen ... Zeit, einfach dazusitzen und zuzusehen, wie die Sonne hinter den Bergen verschwindet. Zeit, einen Kochkurs zu machen und immer wieder Märkte zu durchstreifen...

Beim zweiten, dritten Mal ist der Druck weg, alles bedeutende sehen zu müssen - man kann sich viel mehr treiben lassen.

Und ähnlich geht es mir auch mit anderen Zielen, die ich ganz bewusst mehrfach besuche. Die dann bei anderem Wetter, anderer Jahreszeit ganz anders sind als davor. Und die viel mehr Details bieten, als man auf den ersten Blick wahrgenommen hat.

Einfach offen bleiben - und vor allem nicht immer vergleichen, jeder Ort ist, wie er ist, auch wenn er scheinbar einem andern ähnelt. Dann bleibt die Faszination (oder kommt wieder).
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pawl

« Antwort #6 am: 06. März 2015, 08:17 »
Habe das Gefühl nicht so stark negativ, auch wenn ich "alles schonmal gesehen habe"...

Mich hat zuletzt Herrmann Hesse - Siddartha ziemlich inspiriert
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Vombatus

« Antwort #7 am: 07. März 2015, 10:18 »
Ich glaube was man in diesem Thread nicht verwechseln darf ist die Reisemüdigkeit und Übersättigung an Superlativen während einer (Welt-Langzeit) Reise und das von Reisenoob beschriebene Gefühl der Abgestumpftheit/Gewöhnung nach mehreren Reisen.

Das sind eigentlich zwei verschieden Themen oder? Zwar ähnlich, aber doch mit anderen Erwartungen verknüpft?

In diesem Sinne finde ich den Beitrag von serenity recht treffend. Allerdings juckt es mich auch nach dem neuen Wow. Zum Glück gibt es noch vieles, dass ich nicht gesehen habe.
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koelnerzeilen

« Antwort #8 am: 10. März 2015, 09:22 »
Vielleicht gibt es aber auch noch einen anderenWeg darüber zu denken, wobei ich allen Antworten gutzustimmen kann.Aber zur Zeit sitze ich geradein Goa aneinem(wenig besuchten) Strand unddieanderen Reisenden(zumeistMenschen auf kurzem Urlaub) fühlen sich getrieben alle Sehenswürdigkeiten (echt oder nur angepriesen) anzuschauen. Nach 9 Monaten intensiven Reisens,reicht mir der Strand, muss ich nichtmehr vieleStunden im Taxi oder Tuk-Tuk zubringen,sondern kann den wunderschönen Ort entsprannt geniessen...klar ist dasabgestumpft, aber es ist nicht nur Verlust, sondern auch Gewinn!

SummerJune

« Antwort #9 am: 10. März 2015, 20:01 »
Hallöchen,

ich kenne das Gefühl. Mir ging es nach meinem Au Pair Jahr so.
Ich bin jeden Monat einmal übers Wochenende in eine andere Stadt geflogen oder gefahren. Dort hat man dann versucht so viel wie möglich zu sehen und zu machen. Dazu kamen zwei Wochen Urlaub, davon eine Woche eine Rundreise an der Westküste und eine Woche Hawaii.
In meinem Reisemonat noch einen kurzen Abstecher nach Florida, eine Rundreise an der East Coast und New York.

Fazit war: Zu viel in zu kurzer Zeit. Die Wertschätzung hat mir gefehlt. Ich konnte es nicht genießen, das ich die Möglichkeit haben solche tollen Orte zu besuchen. Das Gefühl hielt ca. ein Jahr an. Ich hatte keine Motivation irgendwo hin zu fahren und mir was anzuschauen. Deshalb habe ich im Jahr drauf "nur" meine Gastfamily besucht und Strandurlaub gemacht.
Mittlerweile freue ich mich auf neue Orte, ich reise bewusster und nehme mir die Zeit an den Orten zu verweilen und nicht nur einen tollen Schnappschuss zu bekommen.

SummerJune
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Reisenoob

« Antwort #10 am: 10. März 2015, 22:23 »
Den Tipp, mal dahin zu gehen, wo man schonmal war, finde ich gut.
Man hat keine Überzogenen Erwartungen, man hat keinen Druck, alles zu sehen, man kann besser geniessen.
Ich habe im September mal wieder ein verlängertes Wochenende in den Alpen verbracht und einfach nur gewandert. Dabei hatte ich größere Hochgefühle als bei dem Besuch so manch eines Highlights in Südamerika.
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MissMojo

« Antwort #11 am: 08. Juni 2015, 07:51 »
Ich kenne das sehr gut, war jetzt gerade auf einem Roadtrip durch Kalifornien, Nevada und Arizona und zwischendrin habe ich mit einem Kumpel telefoniert der natürlich wissen wollte was es alles tolles neues gibt. Und ich so "mhm ja... also ich bin jetzt in San Diego und wir fahren jetzt zum Grand Canyon, dann so Las Vegas... mhm ja ich glaub es gibt nicht so viel Neues!" :D

Jede Wüste war mal größer, jeder Campingplatz wird verglichen, für Wasserfälle halte ich ehrlich gesagt gar nicht mehr an weil ich jetzt wirklich genug gesehen habe...

Eigentlich schade. Ich erlebe manches dann allerdings wenn ich bewusst innehalte. Nun bin ich seit einem Monat wieder im Yukon und ich mache hier: nix. Ich schlafe aus und gehe spazieren, angeln und sitze vor dem Coffeeshop rum. Und dann ist es wieder da, ich finde Midnight Sun jedes Mal toll, ich erfreue mich an Treibholz, ich finde Steine sehr schön, ich mache gerne Feuer.

Ich gebe das Reisen nie wieder her aber ja, je mehr man sieht, desto cosmopolitscher ist wohl der Blick, aaaber: wollten wir das nicht?
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farmerjohn1

« Antwort #12 am: 08. Juni 2015, 14:49 »
Tja, auch hier gilt das rechte Mass. Nach sehr vielen Eindruecken am Stueck ist der ''Kanal voll'', da muss man erst mal verarbeiten. Wieviel man in welchem Zeitrahmen aufnehmen kann und wann man wieder bereit fuer Neues ist, ist wahrscheinlich bei jedem individuell anders; haengt auch von Interessensgebiet und Verarbeitungstiefe ab: manch einer schreibt ganze Baende ueber die Stadt in der er/sie wohnt; ein anderer befasst sich ueberhaupt nicht damit wie andere Menschen zu anderen Zeiten am gleichen Ort oder an anderen Orten zeitgleich leben und denken, sondern findet die Nuetzlichkeit bestimmter Maschinen oder Zusammenhaenge in der Natur interessanter.  Der Satz 'weniger ist mehr' trifft zwar weder  auf jeden Gegenstand zu, noch bezieht er sich unbedingt allein auf die Intelligenz, sondern vielmehr auf den Charakter - aber er handelt sehr wohl von Erkenntnis.

Ganz allgemein bin ich schon laenger dar Meinung, dass Flugzeuge und selbst noch ein schneller PKW auf guter Strasse zu schnelle Verkehrsmittel sind. Das Fahrrad ist fuer mich eine gute Geschwindigkeit, passt aber aus transporttechnischen Gruenden nicht ueberall hin; ansonsten bleiben Schiff, zu Fuss, zu Pferd, und evtl. noch der Zug. Dann kann man halt nicht so viel Distanz auf einmal durchnehmen, wuerde aber auch an weniger Dingen vorbeigehen. Bloss - auf's Flugzeug zu verzichten waere heutzutage wirklich ein Luxus.
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