Thema: Ich drehe mich im Kreis - könnt ihr mir helfen?  (Gelesen 3573 mal)

Kroc

« am: 18. April 2011, 19:42 »
Hallo zusammen,

erstmal - dies ist ein klasse Forum und eine fantastische Seite. Ich beobachte das ganze nun schon eine Weile und muss sagen dass ich doch den ein oder anderen Denkanstoss bekommen habe.

Ich würde mich freuen, wenn Ihr mir zu meiner Situation eure Meinung und Sichtweise sagen würdet, denn ich bin an einem Punkt, an dem ich mich im Kreise drehe.

Ich werde dieses Jahr 29, mittlerweile im 4. Berufsjahr in meinem Studium und war schon mehrmals länger im Ausland (US Feriencamp, Auslandssemester, Praktikum) und habe mir schon in den letzten Jahren immer wieder gedacht, "zwischen dem nächsten Job möchte ich reisen".

Warum?
- Ich habe ein duales Studium absolviert, was hohe Taktung, wenig "Freiheit" bedeutet hat, und habe quasi seit dem Abi "Gas gegeben", und wünsche mir einfach, nochmal FREI zu sein, neues entdecken und erforschen zu können, und dieses Lebensgefühl zu genießen, das man ansatzweise spürt, wenn man im Urlaub mit dem Rucksack unterwegs ist (nur dass man dann weiss dass man nur 3 Wochen Zeit hat).
- Im beruflichen Alltagstrott komme ich immer wieder in Situationen, wo über eine Powerpointfolie stundenlang diskutiert und ein riesen Theater um Dinge gemacht werden, wo ich mir denke, wofür, welche Bedeutung hat das alles?
- Ich möchte später einmal zurückblicken und nicht nur 40 Jahre gebuckelt haben, sondern etwas haben, worauf ich stolz sein kann, was mich in schlechten Zeiten mit Freude zurückblicken lässt.


Das was ich immer als "wenn ich mal den Job wechsele" vor mir hergeschoben habe, hat sich nun in gewisser weise verselbständigt. Meine langjährige Freundin/Lebensgefährtin war die letzten Jahre auf der Überholspur, hat eine super Karriere gemacht, bis sie im März 2010 gesundheitliche Probleme bekommen hat, die klar auf den Stress zurückzuführen sind, was nun dazu geführt hat, dass sie ihren Job aufgegeben hat. Zur Zeit ist sie in Australien bei einer Freundin, um einmal abzuschalten.

Wir haben viel darüber gesprochen zu reisen, und es ist einfach so, WENN NICHT JETZT, WANN DANN?
Meine Freundin ist zwischen den Jobs, und wir werden auch nicht jünger und möchten irgendwann ja auch mal Kinder kriegen.

Alles schön und gut, der Haken an der Sache ist nur:

Bei mir im Job läuft es prächtig, es macht inhaltlich Spass,  ich bin gerade (zumindest fachlich) befördert worden, habe eine sehr gute Entwicklungsperspektive, habe Chefs die viel von mir halten, habe mir ein Netzwerk aufgebaut,... alles in allem ein gemütliches Nest.
Und als typischer Deutscher bin ich natürlich auch ein Worst-Case Mensch und denke,
- ist es nicht unvernünftig, aus einer komfortablen Jobsituation heraus "ohne Not" alles aufs Spiel zu setzen?
- Was ist wenn ich hinterher keinen Job mehr finde oder einen, der nicht so "perfekt" ist
- Meine Freundin hat ja auch keinen Job zur Zeit, was ist wenn wir hinterher beide arbeitslos sind ,
usw

Die Rahmenbedingungen wären, dass wir ab Oktober reisen würden.
Allerdings meine Freundin nur für 3-4 Monate, da sie nicht länger als 1 Jahr ohne Job sein will, um den Anschluss nicht zu verlieren. Ich würde noch 2-3 Monate alleine dranhängen, also insgesamt 6 Monate

Entscheidungstechnisch ist es ein ständiges Hin und Her, wenn ich gerade mal ein positives Erlebnis auf der Arbeit habe, sagt mir mein Kopf  "das kannst du doch eigentlich nicht aufgeben". Wenn ich über die Reise nachdenke, über die Möglichkeiten und Erfahrungen, dann sagt mir mein Herz, "mach es, jetzt ist die Gelegenheit".

Ich komme zurzeit einfach nicht zu einer Entscheidung, die ich konstant vertrete, aus der ich mich nicht verunsichern lasse.

Bin ich zu sehr Kopfmensch und Bedenkenträger, mache ich mir zu viele Gedanken um das "Danach", setze ich das Pflichtbewusstsein zu hoch?

Ist/war jemand in einer ähnlichen Lage?
Was sind eure Gedanken ?


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Jens

« Antwort #1 am: 18. April 2011, 20:20 »
Hallo Kroc,

willkommen im Club! So wie ich das zwischen den Zeilen lese hört es sich schon an, dass du Reisen willst und dann mit deiner Freundin noch zusammen (Start bei Grad 0°). Sie hat die Zeit - Zur Zeit - und du traust dich nicht. Klar ist, dass du deinen Job auf´s Spiel setzt, aber ich denke, wenn du mit deinem Chef sprichts und ihn nach unbezahlten Urlaub fragst, wird er dich vielleicht verstehen. Du kannst das auch von deiner Freundin mit einbringen, dass du dich um sie auch kümmern willst und auch so einen kleinen Burnout hast. Du schreibst, dass die Firma mit dir zufrienden ist, also auch ein guter Punkt zum verhandeln. Die Firmen brauchen in der nächsten Zeit qualifiziertes Personal und wissen was sie von dir haben! Wie schätzt du deine Chefs in dieser Beziehung ein?? Klar ist es eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen verbunden ist.
Aber eins will ich dir mitgeben, selber war ich schon dreimal im Krankenhaus und die haben keinen Pfifferling mehr auf mich gegeben, es kan so schnell zu Ende sein und dann????? Ist Geld, Erfolg, Macht usw. so wichtig im Leben? Die meisten Leute die ich kenne finden die Antwort erst zu spät, du musst deine Antwort finden. Ich für meinen Teil habe sie gefunden und habe schon bevor ich das Projekt Weltreise gestartet habe im Berufsleben einiges geändert und bin glücklich mit dieser Entscheidung.
Am Anfang beim Lesen habe ich eine Gradzahl hingeschrieben und jetzt?? Wo bist 180° oder bei 360°  ::) ::)
Hör auf dein Herz und dein Verstand wird dich zum Ziel bringen!
2

Nummer1994

« Antwort #2 am: 18. April 2011, 21:05 »
Was bringt es dir, dein ganzes Leben für andere zuarbeiten, befördet werden, mehr Geld bekommen ...
Du aber dein Geld nicht für deinen Traum ausgeben kannst, arbeiten ist für mich Mittel zum Zweck.
Also ich würde für einen Job nicht meinen Traum liegen lassen ...

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Ika

« Antwort #3 am: 18. April 2011, 21:39 »
Hey Kroc,

ich kann dich voll und ganz verstehen. Aus dem Grund will ich mir die Zeit nach dem Studium und vor dem Referendariat nehmen. Ich bin mir nämlich sicher, dass ich nach dem Referendariat, wenn ich das Angebot bekommen sollte, übernommen zu werden, auf jeden Fall das Angebot annehmen würde und einmal im Job...

Auch ich habe, als es ernst wurde und es nicht mehr nur reine Träumerei war, teilweise hin und her überlegt (und ich habe es da noch einfacher als du). Ich erinnere mich an stressige Monate, in denen ich versuchte im Freundeskreis potentielle Mitreisende zu begeistern und mich zu entscheiden, was genau ich machen werde, v.a. wenn ich keinen Mitreisenden finde, wie lange ich weg will, wie viel von meinem Ersparten drauf gehen soll und wie viel ich für meinen Start ins Berufsleben zurückbehalten will. Zeitweise hatte ich nur noch genug, an manchen Tagen wollte ich mir das einfach nicht mehr antun, aber da ich ja alle möglichen Freunde gefragt hatte, erwarteten die ja nun alle von mir zu fahren, also habe ich mich da durch gebissen. Geholfen hat mir dabei auch der Spruch von Mark Twain, der auch hier auf der Seite zu finden ist: "In zwanzig Jahren wirst Du mehr enttäuscht sein von den Dingen die Du nicht getan hast, als von den Dingen, die Du getan hast."

Ich bin jemand vom Charakter her, der Dinge so nimmt, wie sie kommen. Wenn mal etwas nicht so gut läuft, wie geplant, dann ist es halt so. Ich bereue recht wenig in meinem Leben. Auch die schlechteren Sachen würde ich nie gegen gute austauschen wollen, denn auch diese haben mich geformt. Die Frage ist, was du für einen Charakter hast. Ich reise z.B. auch jetzt direkt nach dem Studium, weil ich weiß, dass ich in zehn Jahren, wenn ich nach dem Referendariat die nächste richtige Gelegenheit hätte, vielleicht durch eigene Familie gebunden bin und sicher nicht mehr so sorgenfrei reisen könnte, weil ich mir ständig Gedanken um meine Eltern machen würde, die dann in ein gewisses Alter kommen.

Ich weiß ja nicht genau in welchem Bereich du tätig bist. Ist es eher schwer oder eher leicht wieder einen Job zu finden? Sind organisatorische Fähigkeiten und Weltoffenheit wichtig?

Es kann so schnell etwas dazwischen kommen - auch im Job, das Beispiel deiner Freundin zeigt es - und wenn du wirklich mit deiner Freundin reisen willst, dann ist vielleicht jetzt der ideale Zeitpunkt, da sie eh momentan aus dem Beruf draußen ist. Du würdest dich vermutlich ein Leben lang in den Allerwertesten beißen, wenn deine Freundin später ziemlich schnell einen Job findet, ihr aber nicht gereist seid. Dann weißt du nämlich sicher, dass das worstcase Szenario nicht eingetroffen wäre.

Ich überlege bei solchen Entscheidungen immer: "Was werde ich mehr bereuen?" So bin ich schon für zwei Monate als Au Pair vor einer Zwischenprüfung (eine Woche nach Rückkehr) in Irland gelandet und habe als Hauptverantwortliche eine Ferienfahrt geleitet, obwohl ich zehn Tage später eine Examensprüfung hatte. Ich hätte mich nämlich mehr geärgert, wenn die Prüfungen gut gelaufen wären und ich nicht gereist wäre, als wenn ich durchgefallen wäre. Bei mir ist es bisher immer gut gegangen - toi, toi, toi

Frag dich nicht, was sinnvoll ist oder vernünftig, frag dich was du mehr bereuen würdest und egal wie du dich dann entscheidest, bleib dabei und zieh es durch. Das ist mein Tipp.

Gruß
Monika

Kroc

« Antwort #4 am: 19. April 2011, 19:53 »
Danke euch dreien für Eure Gedanken - ich finde es sind gute Denkanstöße dabei, die ich jetzt erstmal nachverfolgen werde.

Sicher, die letztendliche Garantie gibt einem keiner - aber die Frage ist tatsächlich, was man mehr bereuen wird.

Ich werde posten, wenn ich eine Entscheidung habe, und die konkrete Planung losgeht.

Grüße
Kroc
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Martini

« Antwort #5 am: 21. April 2011, 01:02 »
Hallo Kroc.
Ich weiss nicht, ob dir das hilft, aber ich versuche es einfach mal.

Die Situation vor einem Jahren war folgende: Teilhaber eines erfolgreichen Kleinunternehmens mit 18 Angestellten, viel Arbeit, viel Geld und das Unternehmen war auf gutem Expansionskurs.

Doch irgendwie habe ich den Drang in mir gespürt, etwas ändern zu wollen,  mal auf Reise zu gehen, fremde Dinge, Länder, Menschen kennen zu lernen....

Und heute? Ich bin jetzt seid fast sechs Monaten auf Reise und während ich dies schreibe, sitze ich in Santiago de Chile in einem kleinen Zimmer, welches ich mir hier für einen Monat gemietet habe und bin fast pleite, aber das wichtigste ist, ich bin zufrieden und glücklich. Mein ganzes Leben passt in einen 40 Liter Rucksack und ein 10 Liter Daypack und ich muss sagen, ich brauch nicht mehr. Denn die Erfahrungen, welche ich während meiner Reise gemacht habe, die Menschen, welche ich getroffen habe und die Gespräche, die geführt wurden, haben mich verändert. Ich will jetzt nicht darüber diskutieren, ob Materialismus nötig ist, wichtig oder sonst was. Denn das ist nicht das Wichtigste das ich gelernt habe. Das Wichtigste ist, das du auf dein Gefühl hörst. Dein Herz. Dein Bauch. Wie hat das Jens so schön gesagt: Hör auf dein Herz und dein Verstand wird dich zum Ziel bringen. Diesem Satz kann ich nur zustimmen, spiegelt er doch genau meine Erfahrungen wieder.
Ich bin jetzt ruhiger, selbstsicherer, weiss ein bisschen besser wer ich bin und was ich will und, ganz wichtig, was ich nicht will. Und sollte sich bei dir, solltest du eine Reise machen, herausstellen, dass dir berufliche Karriere und Sicherheit wirklich wichtig sind, dann weist du es wenigstens sicher. Aber stell dir vor, du merkst irgendwann, dass dem nicht so ist....

Ich kann dir nur raten, geh in dich hinein, hör auf dein Gefühl und folge deinem Herz. Mich hat es glücklich und zufrieden gemacht.
2

Basti4004

« Antwort #6 am: 09. Mai 2011, 06:42 »
Hey Kroc,
die Antworten die du bekommen hast sind echt gut.
Ich selbst hab vor ueber 9 Monaten meinen Job gekuendigt, mein Auto verkauft und meine Wohnung aufgegeben - nur um reisen zu koennen. Ich sage, ich investiere meine Geld in mich und neue Erfahrungen. Wenn ich in einigen Monaten zurueck komme, dann besitzte ich 12 Umzugskartons und ein paar Moebel - aber ich freue mich richtig darauf, es ist wieder ein Anfang...
Aber mir war es wichtig, es war immer ein Traum zu reisen und voellig frei und unabhaengig zu sein - mir sind Geld und Karriere nicht wichtig! Aber bis ich mich getraut habe, hat es doch etwas gedauert, aber ich hab es nie bereut.
Der letzte satz von monika ist super: "Frag dich nicht, was sinnvoll ist oder vernünftig, frag dich was du mehr bereuen würdest und egal wie du dich dann entscheidest, bleib dabei und zieh es durch. Das ist mein Tipp."
Ich gebe mir fuer manche Entscheidungen eine bedenkzeit, aber dann gibt es eine entscheidung, und die ist unwiederruflich und hinter der stehe ich zu 100%!
Ich wuensche dir viel glueck bei deiner entscheidung, es ist nicht leicht, aber du wirst das beste fuer dich/euch entscheiden!
Basti aus Peru
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