Thema: Durch das wilde Kurdistan  (Gelesen 2780 mal)

Kaamos

« am: 30. April 2023, 13:19 »
Osterzeit ist Reisezeit, also geht es wieder in die Welt hinaus! Genauer gesagt: nach Kurdistan.
Achtung, es werden wieder viele Bilder dabei sein. Einen Bericht ohne Bilder kann ich nicht.

In den Irak habe ich euch ja schon 2019 einmal mitgenommen. Damals bin ich mit Einer Reisegruppe unterwegs gewesen. Leider ist der damalige Reiseleiter im vergangenen Jahr auf seiner letzten Iraktour verstorben. Er war mit 85 Jahren vermutlich einer der weltältesten Führer.
https://www.bradtguides.com/a-tribute-to-geoff-hann/

Irak ist ja nun nicht das Land, das man als Individualreisender gleich auf dem Schirm hat. Aber die damaligen Erfahrungen haben mich doch etwas sicherer hier gemacht. Und da einige meiner damaligen Mitreisenden die gleiche Wellenlänge haben, wollten wir noch einmal losziehen. Durch die ursprünglichen Pläne (Syrien 2020) hat uns Corona einen Strich gemacht, aber nun haben wir einen neuen Anlauf genommen und uns selbst eine Tour zusammengestellt. Diesmal ohne bewaffnete Eskorte und nur als Grüppchen von vier Personen.

Die Organisation war unkompliziert. Es gibt mittlerweile einige gute Reiseblogs, die den Irak abgrasen und bei Facebook eine sehr aktive Travellercommunity für den Irak. Da merkt man erstmal, wie viele Individualtouristen (auch Frauen, auch alleinreisende Frauen) in der Region unterwegs sind. Zusätzlich haben wir uns zwei lokale Guides über diese Kanäle organisiert, weil es den Transport etwas einfacher macht. Unkomplizierte und sehr engagierte Leute.

Theoretischerweise hätten wir das sicher auch ganz ohne Guide hinbekommen, aber es war schon sehr hilfreich, da viele Besuchspunkte nur schwer zugänglich waren. V.a. sind die Google-Koordinaten da auch nicht immer korrekt gesetzt, wenn überhaupt vorhanden.

Für die Finanzen empfiehlt sich schon noch das gute alte Bargeld. Es gibt zwar ab und zu auch ATMs, aber trotzdem zu selten, als dass ich mich darauf verlassen würde. Nur zwei Hotels konnte man mit Kreditkarte bezahlen. Allerdings fühlt es sich schon komisch an, mit 2.000€ im Rucksack durch die Basare zu tingeln. Wechseln war nirgends ein Problem. Man muss auch keinen Umweg über Dollar nehmen, Euro werden auch akzeptiert. Allerdings zum exakt gleichen Kurs, wodurch er etwas schlechter wegkommt.

Die Kosten vor Ort schwanken stark, abhängig davon, ob man sich in der Hauptstadt oder in der Provinz aufhält. Alles in allem war es aber ziemlich  günstig, ich habe nur knapp 2/3 von dem ausgegeben, was ich kalkuliert hatte.
Guide 1 hat 50€ p.P. für 3 Tage inkl. Fahrzeug genommen, Guide 2 hat 100€ p.P pro Tag für 10 Tage inkl. Fahrzeug genommen.
Hotels hatten wir 30-70€ pro Nacht fürs Einzelzimmer und Essen schwankt zwischen 0,80€ (Falafelsandwich in der Provinz) und 16€ (großes Abendessen im modernen Restaurant in der Hauptstadt)

Visa waren kein Problem. Die gibts am Flughafen Bagdad on arrival. Mit dem in Bagdad kommt man durch den kompletten Irak inkl. Kurdistan. Wenn man in Erbil landet, gibts nur ein kurdisches Visum, mit dem man nicht in den Federal Iraq kommt.

Von der Sicherheit her habe ich zu keiner Zeit Bedenken gehabt. Den Geleitschutz von der Tour 2019 habe ich zu keiner Zeit vermisst. Wir sind stets sehr herzlich überall aufgenommen worden. Damit möchte ich etwaige Gefahren nicht runterspielen, aber wenn man mit offenen Augen und offenem Herzen reist, geht es meist gut. Ich bezweifle, dass ein irakischer oder kurdischer Tourist hier in Deutschland so gut empfangen werden würde, wie wir dort.
Was sicher noch Gefahren mit sich bringt, sind Wanderungen ohne ortskundige Begleitung. Es gibt noch einige Gegenden mit Landminen.

Der Ramadan war auch keine große Einschränkung. Es gibt auch tagsüber die Möglichkeit zu essen. Einige Restaurants sind zwar geschlossen, da die Zeit für Renovierungen genutzt wird, aber es gibt trotzdem ausreichend Angebot. Man hängt einfach ein Tuch vors Geshcäft, damit keiner beim Essen zusehen muss.


Kaamos

« Antwort #1 am: 30. April 2023, 13:39 »
Freitag, 31.03.2023 und Samstag, 01.04.2023

Heute werden Überstunden abgebaut und während meine Klasse noch fleißig (oder wohl eher nicht) in der Schule sitzt, fahre ich los. Ein wenig habe ich im Vorfeld schon gezittert, dass der Streik mir einen Strich durch die Rechnung macht, aber der war ja glücklicherweise schon Anfang der Woche abgehandelt. Zum Kostensparen fliege ich diesmal nicht ab Berlin, sondern Hannover. Mit der Bahn geht’s dorthin, mit kurzem Zwischenstopp in Magdeburg. Einmal zum Dom gehetzt und dann zurück zum Zug. Zum Glück gabs noch keinen Ferienansturm am Flughafen, so ging es dort recht zackig weiter bis Istanbul.

Hier am IST treffe ich dann des Nachtens am Gate eine Freundin, die aus Klagenfurt anreist und mich nun bis Bagdad begleitet. Seit neuestem gibt es für EU-Bürger Visa on Arrival, das macht es schön unkompliziert. Zwar braucht die Bürokratie trotzdem eine Stunde, um den Zettel in den Pass zu kleben, aber was solls. Vom Flughafen aus geht’s dann mit dem Taxi zum Hotel, mit booking.com vorgebucht. Early Check in 06:00 früh ist ohne Aufpreis möglich und sogar ein Frühstück wird noch aufs Zimmer serviert.

Danach treffen wir die anderen beiden unserer Gruppe. An dieser Stelle ein kurzer Überblick über uns: 1x Deutschland, 1x Österreich (M), 2x Großbritannien (C&J). Wer jetzt denkt, Irak ist was für junge aktive, der liegt sehr falsch. Ich bin das Küken in der Gruppe. AT ist 67, UK ist 80 und Mitte 70er. Aber sowas von abenteuerlustig, das passt zu meinem Reisetempo.

Am Hotel nimmt uns nun Ibraheem, unser erster Guide in Empfang. C&J sind schon zwei Tage länger hier und haben sich rumkutschieren lassen, gemeinsam bummeln wir heute aber noch einmal durch die Stadt. Das meiste haben wir ja schon 2019 gesehen, daher erspare ich euch die Berichte und Bilder dazu, das lässt sich ja im alten Bericht nachlesen .

Was allerdings neu hinzukommt, ist die Grüne Zone! Darauf habe ich mich besonders gefreut. Die Grüne Zone ist das Regierungs- und Botschaftsviertel. Seit der US-Invasion war sie für die Öffentlichkeit gesperrt, erst seit Januar 2023 darf man wieder durch fahren. Hier befindet sich das Aufmarsch- und Paradegelände von Saddam Hussein, die riesigen Schwerter von Qadisiyah und das Grabmal des unbekannten Soldaten. Zwar war auch jetzt das Anhalten ohne vorherige Genehmigung von irgendeinem Amt nicht erlaubt, aber immerhin konnte man den ein oder anderen Blick erhaschen.



Bagdad. Grüne Zone. Grab des unbekannten Soldaten. Die Ausmaße der Anlage lassen sich aus der Perspektive nur erahnen. Die Kuppel ist knapp 42m groß.



Schwerter von Qadisiyah. Die Hände bilden jene Saddam Husseins nach, sogar die Fingerabdrücke sollen stimmen. Der Triumphbogen nimmt Bezug auf die Schlacht, bei der die muslimischen Araber im Jahr 636 die Perser besiegten und ist symbolischerweise während des Irak-Iran-Krieges in den 1980ern errichtet worden.

Stopp Nummer zwei ist die Abu-Hanifa-Moschee. Abu Hanifa war ein Rechtsgelehrter und sein Schrein ist die wichtigste sunnitische Moschee Bagdads. Wir beschränken uns aber heute auf einen Blick von außen, da wir dachten, dass bestimmt noch ausreichend Moscheebesuche vor uns liegen. Erstaunlicherweise war dies aber nicht der Fall.



Abu Hanifa Moschee



Stattdessen haben wir viele, viele Kirchen besucht, angefangen mit der St George's Anglican Church. Das ist ein recht schlichter Ziegelbau, wegen dem wir aber gar nicht hier waren. Wir waren auf der Suche nach dem Grab des Reiseleiters. Dazu gab es unterschiedliche Angaben. Diese Kirche stellte sich aber als falsch raus. Fündig wurden wir auf dem Episcopal Anglican Cemetery. Die Grabstätte macht aber einen sehr traurigen Eindruck: eine unmarkierte Grube in einer Ecke. Der Friedhofswärter, dessen Familie sich schon seit Generationen um den Friedhof kümmert, konnte sie uns zeigen. Allerdings liegt er in erlauchter Nachbarschaft: gleich gegenüber ruht Gertrude Bell, Forschungsreisende, Abenteurerin und Archäologin. Ich glaube im Grunde hat er die Ruhestätte gefunden, die er sich auch gewünscht hätte.




Grab von Gertrude Bell.


Wir schlendern noch ein bisschen über den Basar und fahren an viel Street Art vorbei, bevor wir uns zum nächsten Handyshop begeben: SIM-Karten werden benötigt. Das war eine Prozedur. Die Karte wird in einem Laden gekauft. Allerdings ist sie nicht perforiert, also muss man zu einem zweiten Laden gehen, der sie in die richtige Größe schneidet.



In der Mutanabbi-Straße, die Buchhändlerstraße und über Jahrhunderte das geistige Zentrum des Iraks. Besonders die Reihe mit Churchill, Rommel, Machiavelli, Hitler, Che Guevara und Plato ist schon eine ausgesuchte Zusammenstellung.





Es gibt noch einige sehr schöne alte Fassaden im Zentrum, aber es wird leider sehr wenig gepflegt.



In der Unterführung am Tahrirplatz gibt es viel Street-art. Da es sehr regierungskritisch ist, wird es nicht gern gesehen, wenn Touristen vorbei flanieren... Wir fahren deshalb. Auch, weil es einfach keine Parkplätze gibt.



Sheherazade erzählt Sharirar ihre Märchen.



Es wird leider sehr wenig Wert auf eine gepflegte Umgebung gelegt.



So langsam rückt nun auch der Abend näher, also begeben wir uns auf die Suche nach einem Restaurant… hier sitzen wir nun auch am Tisch und warten auf Iftar. Schließlich ist ja Ramadan. Doch kaum ruft der Muezzin, geht das große Fressen los. Und der Begriff ist nicht untertrieben. Angespanntes Warten bis 18.28 Uhr, dann beginnt man mit einer Dattel. Und nach nicht mal einer Stunde ist das ganze Spektakel schon vorbei.
Zu 95% sitzen natürlich die Männer im Restaurant. Frauen scheinen größtenteils zu Hause zu bleiben.




Kaamos

« Antwort #2 am: 30. April 2023, 17:17 »
Sonntag, 02.04.2023

Heute steht die längste Etappe der Tour bevor, dementsprechend zeitig brechen wir auf. Das morgendliche Bagdad ist erstaunlich leer, kaum Autos auf den Straßen. Das ändert sich dann, je höher die Sonne steht.

Bis Samarra fahren wir auf bekannten Wegen. Aber heute soll es ja noch weiter gehen. Der Highway ist schlecht. Viele Schlaglöcher, Spurrinnen und Verkehr, der einem links und rechts entgegenkommt. Die Landschaft ist erst sehr grün, wird dann aber schnell wüstenähnlich, dennoch stehen immer wieder große Regenpfützen am Straßenrand. Auch an Checkpoints müssen wir ab und zu anhalten. Der Pass wird kontrolliert, aber Probleme haben wir nirgends.



Bagdad. Die Straßen im Federal Iraq sind nicht die besten. Der Verkehr ist auch eher gewöhnungsbedürftig. Das ändert sich in Kurdistan. Man merkt eine andere Mentalität.





Wir fahren an Al-Awja vorbei. Das Dorf ist der Geburtsort Saddam Husseins. Auch wenn er ein Diktator war, sehnen sich viele nach seiner Zeit zurück. Aber einfach auch aus dem Grund, dass das Chaos, was danach kam - US-Invasion, Unruhen, Islamischer Staat - in den Augen Vieler noch viel schlimmer war.



Samarra sehen wir nur aus der Ferne. Aber 2019 haben wir die Malwiya ja schon bestiegen. Das wäre im Moment auch überhaupt nicht möglich, da das Minarett saniert wird.



Gegen Mittag biegen wir dann von der Hauptstraße ab und verabschieden uns in die Wüste. Das heutige Highlight: Hatra. Die Stadt wurde knapp 300 Jahre v.Chr. gegründet und 241 n.Chr. aufgegeben. Für mich wirkt es fast wie ein Gegenstück zu Palmyra in Syrien. Als Kleinkönigreich der Parther war Hatra einer der bedeutendsten Fundorte aus jener Zeit.
Der IS hat hier ziemlich gewütet. Der Figurenschmuck und die Reliefs wurden heruntergeschlagen und die Ruinen für Schießübungen genutzt. Glücklicherweise wurde nicht alles planiert, so wie es andernorts leider geschehen ist.

Touristen kommen erst seit kurzem wieder aufs Gelände. Und unser Fahrer Ibraheem hatte die Karten vorab schon extra aus Mosul geholt, bevor er uns in Bagdad getroffen hat. Immerhin knapp 5 h pro Strecke. Guter Mann :respekt:

Wie in Babylon hat auch hier Saddam Hussein umfangreiche Restaurierungen vornehmen lassen, inklusive der mit seinem Monogramm geschmückten Ziegel. Ein Baukran aus dieser Zeit steht seit Anfang der 1990er noch auf dem Gelände.



Willkommen in Hatra!





Der IS hat Hatra als Truppenübungsplatz missbraucht.

Nach den antiken Ruinen erreichen wir nun unser Tagesziel: Mosul. Uns war schon bewusst, was uns in der ehemaligen Hauptstadt des islamischen Kalifats erwartete, aber trotzdem können einen die Bilder und Blogs nicht wirklich darauf vorbereiten, wenn man tatsächlich inmitten der Ruinen steht.



Mosul war ursprünglich ein Schmelztiegel: Muslime, Juden und Christen lebten hier. Insbesondere für letztere war die Stadt ein wichtiges Zentrum, wovon noch viele Kirchen zeugen. 2014 eroberte der IS die Stadt, vertrieb einen Teil der Bevölkerung und zwang den Rest zur Konversion unter der Androhung der Hinrichtung. Es herrschte ein Terrorregime, bis kurdische Milizen Mosul 2017 zurückeroberten. In den Kämpfen wurde insbesondere die Altstadt schwerst beschädigt.





Das alte Mosul muss eine schöne Stadt gewesen sein.





Die Ruinen sind zudem gekennzeichnet. Liegt ein weißer Stein in der Tür, wurde sie schon beräumt, ein roter Stein zeigt an, dass sich noch Minen oder Munition darin befinden könnten.



Al Nuri Moschee. Hier hielt der Anführer der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS), Abu Bakr al-Baghdadi, am 4. Juli 2014 in seinem einzigen öffentlichen Auftritt eine Freitagspredigt (Chutba), nachdem er am 29. Juni 2014 vom Sprecher des IS, Abu Mohammad al-Adnani, zum „Kalifen“ erklärt worden war. Die Moschee wurde bei den Befreiungskämpfen komplett zerstört. Besonders tragisch ist es um al-Hadba, das bucklige Minarett, das lange Zeit Mosuls Wahrzeichen war. 2014 konnte eine Menschenkette es noch vor einer Sprengung durch den IS bewahren.



Und trotzdem: das Leben kämpft sich zurück. Der Basar ist in Eigenregie der Händler schon wieder aufgebaut und es sind unzählige Menschen auf den Straßen unterwegs. Jeder versucht, irgendetwas zu verkaufen. Dabei werden die Chinafakes immer besser. Abibas, Adidos, Nake usw. habe ich im Gegensatz zu 2019 nicht mehr gesehen, da nimmt man mittlerweile die richtigen Namen.

Die Menschen sind sehr neugierig, aufgeschlossen und freundlich. Wir haben an keiner Stelle Ablehnung erfahren. Nur einmal in den Ruinen der Altstadt hat ein alter Mann uns sein Leid geklagt, die die blöden Amerikaner ihm hier alles weggebombt haben.
Die Altstadt ist nahezu dem Erdboden gleichgemacht. Es ist erschütternd die Zerstörung zu sehen und sich das Leid zu vergegenwärtigen, das hier zugefügt wurde. Noch sind nicht alle Häuser von Munition bereinigt und sicher zu betreten. Aber der Aufbau geht in kleinen Schritten los.



Im Basar.



Sowas sieht man oft. Das ist ja offensichtlich fake, aber es waren auch einige echte Saisonkennzeichen darunter.



Elektriker möchte ich hier nicht sein. Das ist Standard. Eigentlich hat man gar keine andere Wahl, als ein neues Kabel zu legen, weil doch keiner mehr weiß, wo was angeschlossen ist.




Unser Abendessen haben wir uns auf dem Fischmarkt organisiert. Es soll Masgouf geben, gegrillten Karpfen, ein irakisches Nationalgericht. Wir suchen einen frischen Fisch aus, schauen beim Schlachten weg und warten dann, bis er uns ins Hotel geliefert wird.
Das Hotel ist ganz schick. Modern und sauber. Allerdings ist man sich beim Namen nicht ganz sicher. Mal firmiert es als Plaza, mal als Palace. Aber das kommt bei vielen Wörtern im Irak vor. Duhok - Dohuk, Tikrit - Tikreet, ...




Gegen 6 kommt unser Fisch dann mit dem Taxi. Das Problem ist, bis Iftar ist er kalt. Das passiert uns aber regelmäßig. Ins Restaurant lieber spätestens 18.15 gehen. In der nächsten viertel Stunde wird es dann brechend voll. Aber sobald man am Tisch sitzt, wird alles schon aufgetafelt, viele kleine Vorspeisen, sowie auch die warmen Hauptspeisen. Und dann sitzt man davor und wartet…
Nach dem Essen sitzen wir dann noch eine Weile in der Lobby und unterhalten uns. Als Schichtwechsel an der Rezeption ist, lädt uns der neue Concierge ein, mit ihm zu Abend zu essen. Er spricht recht gut deutsch. Es stellt sich raus, er war zwei Jahre in Klagenfurt auf der Flucht vorm IS, wo ja auch eine Mitreisende herkommt, sowie einige Zeit in Gießen - auch hier hat sie gelebt. Die Welt ist so klein.

darkeka

« Antwort #3 am: 30. April 2023, 17:33 »
Wie teuer war eure Auslandskrankenversicherung und bei welchem Anbieter habt ihr diese abgeschlossen? Travel Risks?

Kaamos

« Antwort #4 am: 30. April 2023, 17:39 »
Montag, 03.04.2023



Ursprünglich wollten wir gern noch die ein oder andere archäologische Stätte auf dem Weg zwischen Bagdad und Mosul abgrasen. U.a. Nimrud und Assur standen auf unserer Liste. Doch laut Ibraheem sind beide derzeit leider nicht zugänglich. Der IS hat hier ziemlich gewütet und ich bin mir nicht sicher, ob beide Orte überhaupt noch existieren.



Daher haben wir heute etwas mehr Zeit in Mosul und beginnen unsere Stadtrundfahrt bei der Prophet-Yunus-Moschee. Der Prophet ist uns besser bekannt als Jona – ebenjener, der auch das Innere eines Wales erkundet hat. Gott gab ihm den Auftrag, dem sündigen Niniveh ein Strafgericht anzukündigen. Das tat Jona nicht und wurde daraufhin bei der Flucht vom Wal verschlungen. Nach einigen Gebeten kam er frei und erfüllte den Auftrag. Die Bewohner Ninivehs bereuten daraufhin ihre Sünden und wurden nun doch verschont.



Auf Jonas vermeintliches Grab wurde erst ein Kloster errichtet, welches später in eine Moschee umgewandelt wurde. Die Moschee wurde 2014 vom IS gesprengt, da die Terroristen die Jona-Verehrung als Götzendienst betrachteten. Bauarbeiten zur Wiederherstellung haben schon begonnen, aber viel ist noch nicht geschehen.







Prophet-Yunus-Moschee



Restauriert wird auch am Plateau von Niniveh. Ca. 2.700 Jahre v. Chr. gegründet, stieg die Stadt später zur Hauptstadt des Assyrischen Reiches auf. Zwischenzeitlich verlassen und vergessen, wurde Niniveh im 19. Jh. wiederentdeckt. Insbesondere die hier befindliche Bibliothek des Aššurbanipal mit ihren 25.000 Tontafeln war eine Sensation. U.a. fand man den Gilgamesh-Epos, der als die biblische Sintflut gedeutet wurde. In den 1960er Jahren wurden große Teile der Stadtmauer rekonstruiert.



Aber auch hier haben die Bilderstürmer gewütet. 2015 hat der IS die beeindruckenden Lamassu-Statuen gesprengt und das ganze Gelände mit Bulldozern und militärischem Gerät eingeebnet. Wir haben nur ein Stück der Mauer und Wiederaufbauarbeiten am Tor des Gottes Adad gesehen. Der Rest des Geländes ist nicht zu betreten.







Niniveh. Adad-Tor





Während der Schlacht um Mosul wurden die Brücken über den Tigris zerstört, bzw. beim Rückzug des IS mit Sprengfallen bestückt. Mittlerweile sind die Flussquerungen aber wieder vorhanden. Auf meinen Wunsch hin hält Ibraheem auf dem Highway beim Polizeiposten an und wirft uns aus dem Wagen. Wagemutig überqueren wir die Straße und spazieren nun über den Tigris mit schönem Blick auf das Ufer. Dabei wird ständig gehupt und gegrüßt.







Mosul Grand Mosque, ehemals Saddam-Moschee. 1985 begonnen, ist die Moschee noch immer nicht fertig gestellt.







Über den Tigris. Bashtabiya Festung.







Imam-Muhsin-Moschee. Dieses kunterbunte Kuppel- und Spitzendurcheinander ist fantastisch!



Am anderen Ufer besuchen wir dann das Mosul Heritage House. Das Sommerhaus eines reichen Irakers wurde in ein kleines Museum verwandelt. Ein wunderschönes altes Haus mit einer interessanten Führung, u.a. mit VR-Brille. Das Highlight waren jedoch die vielen Kinder. Die Kindergärten feiern gerade Abschluss und dafür werden Fotos wie zur Exmatrikulation geschossen.







Mosul Heritage House. Kindergarten-Exmatrikulation





Ganz in der Nähe befindet sich die Bashtabiya Festung, das letzte Stück der Stadtmauer von Mosul. 2015 wurde sie im Zuge der Kampagne gegen das Kulturerbe vom IS gesprengt. Wir wollten eigentlich rein, aber es war abgesperrt. Ein netter Iraker führte uns von der Seite durch Gestrüpp und Geröll heran, aber das war der Polizei nicht so Recht und wir mussten umkehren.



Dass Mosul ein Schmelztiegel war, erwähnte ich ja schon. Das zeigt sich auch an den vielen Kirchen im Stadtbild. Viele sind, wie der Rest der Altstadt, nur noch Ruinen. Bei einigen sind die Wiederaufbauarbeiten allerdings schon gut vorangeschritten, wie z.B. bei Mar Thoma. Die syrisch-orthodoxe St.-Thomas-Kathedrale ist die älteste Kirche Mosuls. Sie wurde im Jahr 640 an der Stelle des Hauses eröffnet, in dem der Apostel Thomas auf seinem Weg nach Indien gerastet haben soll. Während der IS-Zeit diente das Gebäude als Gefängnis, hat aber glücklicherweise die Kämpfe während der Befreiung verhältnismäßig unbeschadet überstanden. Die Dominikanerkirche unserer lieben Frau der Stunde wurde vom IS gesprengt, ist aber auch schon fast wieder fertiggestellt. Hier konnten wir allerdings nicht reinschauen. Der Glockenturm wurde in den 1880er Jahren von der französischen Ex-Kaiserin gestiftet.







Kirche unserer lieben Frau der Stunde.







Mar Thoma







Am frühen Nachmittag verabschiedeten wir uns von Ibraheem. Er fuhr nach Bagdad zurück und wir gingen noch einmal allein auf den Basar. Die Überquerung des Tigris über die „Old Bridge“ war ein Spießrutenlauf – im positiven Sinne. Wir wurden ständig um Selfies gebeten. Die Leute haben sich so sehr gefreut, uns hier zu sehen, das ist der Wahnsinn. Jetzt stelle man sich mal den Umgekehrten Fall vor, dass ein Iraki 'ne Brücke in Hamburg überquert…





Passend zum Sonnenuntergang sind wir zurück im Hotel. Heute ist Iftar exakt 18:28. Das Abendessen wird aber erst gegen sieben geliefert. Es gibt Kebab. Hier ist das Essen spottbillig. Für 5.000 Dinar sind wir mehr als satt geworden. Umgerechnet 3,3 €.













Dienstag, 04.04.2023





Heute nimmt uns Karwan, Guide Nummer zwei in Empfang. Mit ihm verlassen wir Mosul und passieren drei oder vier Checkpoints, bis wir an der Grenze zu Kurdistan stehen. Theoretisch ist Kurdistan noch Teil des Iraks, aber als autonome Region grenzt sie sich deutlich vom Federal Iraq ab, inklusive Grenzkontrolle und eigenem Visum. Wenn man in Kurdistan das Land betritt, kommt man mit dem kurdischen Visum nicht in den Rest des Landes. Umgekehrt zählt das irakische Visum allerdings für das komplette Staatsgebiet. So hatten wir dann an der Grenze außer ein wenig Wartezeit keine weiteren Probleme.







Abschied aus Mosul







Grenze Irak-Kurdistan. Fotos von den Checkpoints sind natürlich nicht gestattet, aber ganz oben sieht man zumindest 'ne Ecke.



Es ist aber erstaunlich, wie schnell sich das Land nach der Grenze ändert. Die Landschaft wird grün und hügelig, die Straßen sind in einem ziemlich guten Zustand – und man sieht zahlreiche Blitzer. So viele gibt es nicht mal in Brandenburg. Grundsätzlich habe ich Kurdistan als eine modernere und eher nach Westen orientierte Gesellschaft wahrgenommen als die arabischen Iraker. Das ist aber natürlich erst einmal der äußere Schein. Wie tief das in die Gesellschaft hinein reicht, ist eine andere Sache. In Teehäusern kommt man häufiger ins Gespräch und ein Kurde, der nach 20 Jahren in England nun wieder in seiner Heimat ist, hat z.B. stolz berichtet, dass es heutzutage nicht mehr üblich ist, seine Frau in der Öffentlichkeit zu schlagen.







Grünes Kurdistan. Das Gebäude ist ein Jesidentempel.




Aber bis zum Teehaus muss die Sonne erst einmal untergehen und wir haben noch ein Stück Weges vor uns. Ein Abstecher zur archäologischen Stätte von Faida klappt nicht, wie geplant, da einfach niemand vor Ort aufzutreiben ist, der uns das Tor öffnet. Aber mein Engländer stand vor der Reise in Kontakt mit einem der Archäologenteams. Da lässt sich dann in den nächsten Tagen doch bestimmt noch etwas organisieren.



So aber fahren wir erstmal weiter nach Dohuk. Oder Duhok. Oder Dahuk. Oder Dihok… Das ist eben die Krux mit der arabischen Schrift, die ist mit den Vokalen nicht immer eindeutig. Und wenn jetzt noch verschiedene Sprachen zusammenkommen – arabisch und verschiedene kurdische Dialekte – macht das die Sache nicht leichter.



Kurz vor Dohuk quälen wir uns einen steilen Berg hoch. Von oben gibt es einen grandiosen Blick ins Umland und auf Dohuk, doch für unser eigentliches Ziel müssen wir wieder ein Stück runter. Über sehr anspruchsvolle Pfade schlängeln wir uns durch eine wunderbare Blumenvielfalt. Das Frühjahr ist die perfekte Reisezeit für Kurdistan. Die beiden Engländer bringt der Weg an ihre Grenzen, J. gibt nach der Hälfte auf und wartet. C (wie gesagt: 80 Jahre!) schlägt sich wacker und besonders beim späteren Wiederaufstieg hatte ich Sorgen. Aber am Ende werden wir mit grandiosen 2.700 Jahre alten Reliefs belohnt! Sie werden mit einem Kanalsystem in Zusammenhang gebracht, auf das ich in den nächsten Tagen noch einmal zu sprechen kommen werde. Leider stirbt der dümmere Teil der Menschheit nie aus, denn zahlreiche Graffiti "zieren" die Wände.







Blick auf Dohuk







Kletterpartie  :o







Da gehts runter zur Halamata Cave







Halamata Cave, bzw. Maltai Relief







Nach der anstrengenden Kletterpartie gönnen wir uns noch ein Eis am Dohuk-Damm, bevor wir unser Hotel im Stadtzentrum beziehen. Die Standards aller unserer Unterkünfte waren in Ordnung bis gut. Etwas gewöhnungsbedürftig ist, dass die Duschen teilweise ohne irgendeine Abtrennung direkt im Raum sind und hinterher das Bad unter Wasser steht. Und ganz egal, ob einfache Unterkunft oder Hotel westlichen Standards: es verging kein Abend, an dem nicht der Strom (teils mehrfach) ausgefallen wäre. Zwar springt gleich ein Generator an, aber mindestens 10 Sekunden sitzt man doch im Dunkeln.







Der Barzani-Clan ist einer der führenden Stämme Kurdistans. Er ist schon lange im Unabhängigkeitskampf engagiert und bestimmt die Politik der autonomen Region.








Dohuk-Damm



Den Abend verbringen wir auf dem Basar. Die Läden werden zwar schon langsam für Iftar dicht gemacht, aber zumindest im Obst- und Gemüsebasar ist noch reges Leben. Der Überfluss! Radieschen so groß wie eine Kinderfaust. Frische Pistazien, Äpfel, Zitrusfrüchte, Auberginen, Melonen, … Unsere Supermärkte sind so trostlos dagegen.







Mitte links: frische Pistazien werden mit grüner Schale gegessen. Leicht sauer, ungefähr wie eine noch nicht so reife Aprikose. Mitte rechts: Rhabarber! Der sieht schon ganz anders aus als unserer und wird zwischendurch als Snack geknabbert.



Da sich Iftar ja nach dem Sonnenstand richtet, hat jede Stadt auch ihre eigene Zeit fürs Fastenbrechen. Gestern in Mosul war es 18.28, heute in Dohuk 18.36. Karwan bestellt eine bunte Mischung und wir teilen. Begonnen wird aber stets mit einer Dattel. Zum Abschluss lädt er uns in die Märtyrerteestube ein, die mit Bildern, Memorabilia und Waffen gefallener Peschmerga und anderer Kurden dekoriert ist. Etwas makaber...




Kaamos

« Antwort #5 am: 30. April 2023, 17:45 »
Wie teuer war eure Auslandskrankenversicherung und bei welchem Anbieter habt ihr diese abgeschlossen? Travel Risks?

Ich habe keine Extraversicherung abgeschlossen neben der, die ich ohnehin schon habe. Huk24, 18€ jährlich. Die üblichen Reiserisiken sind da auch im Irak abgesichert. Auch bei Reisewarnung. Abgesichert sind nur keine Sachen, die Folge von Vorgängen sind, die in Zusammenhang mit der Reisewarnung stehen. Und Rückführungen sind dann natürlich im Ernstfall schwieriger bis nicht möglich.

Kaamos

« Antwort #6 am: 01. Mai 2023, 22:16 »
Mittwoch, 05.04.2023





Dohuk ist für die nächsten Tage unsere Basis. Von hier aus gibt es Ausflüge in die Umgebung. Die Stadt ist von einer angenehmen Berglandschaft umgeben – kein alpines Hochgebirge, aber ein angenehmes auf und ab. Später in der Ebene wird viel Landwirtschaft betrieben und man sieht zahllose Schafe – fast so viele, wie Blitzer. Paradoxerweise gibt es innerhalb der Ortschaften keine Geschwindigkeitsbegrenzungen, nur außerhalb.



https://www.youtube.com/watch?v=95U7HDd35ds Fahrt durch Dohuk

https://www.youtube.com/watch?v=ib_dpzcDWIs

Berge östlich von Dohuk







Solche Blitzer sieht man häufig. Es gibt aber auch mobile Radarkontrollen. Korrektes Fahren ist also zu empfehlen.







Checkpoint voraus.







In der Gegend gibt es auch einige syrische Flüchtlingslager





Bei unserem ersten Besichtigungspunkt gibt es nicht wirklich was zu sehen, vielmehr ist Vorstellungskraft gefragt. Tall Jumal ist eine Ansammlung von vielleicht 50 Häusern auf einem Hügel. Von hier aus überblickt man eine fruchtbare Ebene mit großen Weizenfeldern. Uns interessiert jedoch mehr, was hier vor 2.300 Jahren stattfand. Am 01. Oktober 331 v. Chr. standen hier 200.000 Persern etwa 47.000 Helenen gegenüber. Wir befinden uns in Gaugamela, wo eine der großen Schlachten der Weltgeschichte gefochten wurde. Der Triumph Alexanders des Großen über Dareios III. besiegelte das Ende des Persers. Bei Ausgrabungen vor einigen Jahren ist man auf Überreste einiger Soldaten gestoßen. Noch heute gibt es in Dohuk viele blonde und blauäugige Menschen, die Nachkommen von Alexanders Soldaten sein sollen.







Die Ebenen von Gaugamela






Von der Hauptstraße aus biegen wir dann in eines der Felder ein. Beim Zustand der Feldwege bin ich froh über unseren Nissan Safari. Versteckt zwischen den Hügeln finden wir eine Ansammlung behauener Steine: die Reste des Aquädukts von Jerwan. Mögen sich die Römer noch so viel auf ihre Wasserbaukunst einbilden, das älteste Aquädukt steht in Kurdistan! 705-681 v. Chr. herrschte Sennacherib über das Assyrische Reich und baute die Hauptstadt Niniveh massiv aus. Vor allem die Palastanlagen suchten ihres Gleichen. Um die dazugehörigen Gärten zu bewässern und das Umland fruchtbar zu machen, ließ er zwischen 703-690 v. Chr. ein knapp 150 km langes Bewässerungssystem errichten, dass Wasser aus den kurdischen Bergen bis nach Mosul transportierte. Es wurden Kanäle, Tunnel und Aquädukte angelegt, das aufwändigste hierbei jenes von Jerwan. Die Steinblöcke sind über und über mit Keilschrift verziert: „Sennacherib, König der Welt, König von Assyrien. Über eine große Entfernung ließ ich einen Wasserlauf in die Umgebung von Ninive leiten, der die Gewässer miteinander verbindet. Über steile Täler spannte ich ein Aquädukt aus weißen Kalksteinblöcken, ich ließ die Wasser darüber fließen.“


Mittlerweile wird davon ausgegangen, dass die hängenden Gärten von Babylon, eines der sieben Weltwunder, eigentlich die vom Aquädukt gespeisten Gärten von Niniveh sind.



Die Hauptstraßen sind super. Aber manchmal ist ein 4x4 schon hilfreich.









Jerwan-Aquädukt










Ein Paar Kilometer weiter am Oberlauf des Flusses Gomel Su stoßen wir in Khannis (oder Khinnis) auf ein weiteres Zeugnis der Anlage. Sennacherib ließ meterhohe Götterdarstellungen in den Felsen schlagen, um die Fertigstellung des Bewässerungssystems zu feiern. Später haben Zoroastrier Höhlen in die Felsen geschlagen, um ihr Toten zu lagern, deren Überreste traditionell den Vögeln überlassen wurden.







Khannis. Auf den Bildern kommen die Reliefs leider nicht so gut zur Geltung. In der Realität kann man sie noch ziemlich gut erkennen.

Es sind aber schon Teile der Reliefs abgestürzt. Im Wasser liegt ein Lamassu





Der Irak, bzw. Kurdistan ist ein Land uralter Geschichte. Und wo Hochkulturen entstehen und vergehen, entwickeln sich auch reichhaltige religiöse Traditionen. Den Nahen Osten nimmt man meist als muslimisch geprägten Landstrich wahr, allenfalls noch mit ein paar Christen und Juden. Aber da ist noch so viel mehr: wie etwa die Jesiden. Diese Volksgruppe/Glaubensgemeinschaft übernimmt einige christliche und muslimische Elemente, folgt aber auch altorientalischen Traditionen. Schon Zeit ihres Bestehens ist sie Verfolgung ausgesetzt gewesen, aber ab 2014 gipfelte es in einen Genozid durch den Islamischen Staat. Männer wurden ermordet, Frauen vergewaltigt und versklavt. Andersgläubige wurden zwar ohnehin verfolgt, aber den Jesiden wurde insbesondere zum Verhängnis, dass sie immer wieder als Teufelsanbeter verleumdet wurden. Neben Gott hat für die Jesiden Melek Taus, ein von Gott geschaffener Engel in Form eines Pfaus, besondere Bedeutung. Er fiel einst in Ungnade und wurde in die Hölle verbannt, hat dann aber Vergebung erfahren und wurde zum Mittler zwischen Schöpfer und Menschen. Die Verknüpfung von Melek Taus und Satan wurde aber wahrscheinlich erst nachträglich von Christen und Muslimen hergestellt.


Mit 1-1,5 Mio. Mitgliedern ist es eine relativ kleine Gemeinschaft. Das liegt aber auch daran, dass man nur durch Geburt Mitglied werden kann und nur eine Heirat innerhalb der Gemeinschaft erlaubt ist. Das stellt nach den Gräueln durch den IS ein großes Problem dar, da die versklavten und von Nichtjesiden missbrauchten Frauen eigentlich aus der Gemeinschaft ausgestoßen werden müssten. Das ihnen aber erspart. Diese Gnade ist den daraus hervorgegangenen Kindern aber leider nicht zu Teil geworden. Sie sind aus der jesidischen Gemeinschaft ausgestoßen.



Das Hauptheiligtum der Jesiden befindet sich in Lalish. Hier liegen mehrere Scheichs begraben, die zu den wichtigsten Heiligen der Jesiden gehören. Zudem wird Lalish als Ort der Schöpfung angesehen und das Grab Adams hier verortet.



Das Tempelgelände wimmelt nur so von Gläubigen. Am Eingang werden wir gleich von einer tanzenden Gruppe begrüßt, zu Wasser und Saft eingeladen. Ramadan wird hier ja nicht gehalten. Es stellt sich heraus, dass viele aus Deutschland stammen. Sie nutzen die Osterferien für einen Heimatbesuch. Auch wenn die Gemeinschaft keine Menschen außerhalb ihrer Reihen aufnimmt, ist sie ansonsten doch recht offen gegenüber Besuchern. Wir konnten das Heiligtum erkunden, wurden neugierig beäugt, um Selfies gebeten und in zahlreiche Gespräche verwickelt. Unterwegs ist man im ganzen Tempelgelände barfuß. Heute war das angenehm, aber im Winter möchte ich das nicht auf mich nehmen.











Lalish. Die Schlange hat eine wichtige Bedeutung. Während der Sintflut ist Noahs Arche an den Bergspitzen von Lalish hängen geblieben und Leck geschlagen. Daraufhin hat sich die Schlange in den Spalt gezwängt und die Arche gerettet.

Innen sind die Tempel düster und schmucklos. Ein krasser Gegensatz zu den verspiegelten Moscheen, die ich im Südirak gesehen habe.




Später geht es dann zurück nach Dohuk und wir durchstreifen noch ein bisschen die Basare.







Mitte links: Auf dem Markt ist ein großes Zelt aufgebaut. Wohlhabende Einwohner Dohuks stiften hier das Mahl fürs Fastenbrechen für die ärmere Bevölkerung.





 


Kaamos

« Antwort #7 am: 01. Mai 2023, 22:24 »
Donnerstag, 06.04.2023





Nach einem Dattelfrühstück geht es heute zurück nach Faida, die bei der Ankunft in Dohuk geschlossene archäologische Stätte. Aber C. kennt jemanden, die jemanden kennt, der jemanden kennt. Im Duhok National Museum holen wir uns den Schlüssel ab und fahren nach Faida.










Eigentlich war das Museum geschlossen, aber wenn wir schonmal hier sind, haben sie uns zumindest mal einen Raum aufgeschlossen.







Wir befinden uns in Faida nun hinter einer Ziegelei inmitten eines gelben Rapsmeeres. Beim Bau einer Rohrleitung ist man zufällig auf einen Kanal aus der Zeit Sargons II. (der Vorgänger Sennacheribs) gestoßen ist. Er war Teil eines größeren Bewässerungssystems. Die Wände entlang des Kanals sind mit Reliefs geschmückt. Mehrere Abschnitte des Kanals sind von einem Team der Universität Udine schon ausgegraben worden, aber mit Sicherheit gibt es noch viel zu finden.



















Weiter geht es nun nach Alqosh. Der aramäische Name bedeutet „Der Gott der Rechtschaffenheit“. Alqosh wurde vor ca. 2700 Jahren das erste Mal erwähnt und ist eine der ältesten christlichen Gemeinden des Irak. Hier leben ausschließlich Christen. Zwar stand 2015 der IS vor den Toren, doch der Ort wurde nicht eingenommen. Seitdem benötigt man eine spezielle Erlaubnis, um von den Peschmerga eingelassen zu werden. Die haben wir natürlich.



Im Ort befindet sich auch eine Synagoge mit dem Grab des Propheten Nahum, der den Fall von Niniveh vorhergesagt hat. Allerdings sitzen wir erst einmal in der Sonne und warten auf den Mann mit dem Schlüssel.







Auf dem Weg nach Alqosh kommen wir wieder an einem der Flüchtlingslager vorbei.







Alqosh. Die Flagge oben rechts ist die der Assyrer. Teilweise werden sie auch einfach nur als Syrer bezeichnet. Aber das ist irreführend, da es mit dem modernen Staat Syrien nichts zu tun hat. Es ist eine hauptsächlich christliche Minderheit, die auf Aramäer, Chaldäer und Assyrer zurückgeht.







Alqosh. Synagoge mit dem Grab des Propheten Nahum.






In den Bergen hinter Alqosh klebt wie ein Schwalbennest das Kloster von Rabban Hormizd. Die Gründung erfolgte im 7. Jahrhundert und von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis 1804 war das Kloster offizielle Residenz des ostsyrischen Katholikos-Patriarchen von Seleukeia-Ktesiphon. 1830 wurde es als Kloster der chaldäisch-katholischen Kirche wiederbegründet. Der einstweilen letzte der Mönche von Rabban Hormizd starb 2011.

Fotografieren ist drinnen leider verboten. Auch heimliche Schnappschüsse habe ich mir verkniffen, CCTV ist in Kurdistan sehr gut ausgebaut.







Rabban Hormizd











Friedhof Alqosh



Zurück in Alqosh machen wir noch einen kurzen Spaziergang über den malerischen Friedhof, ehe es wieder Richtung Westen geht. Bevor wir aber Dohuk erreichen gibt es noch einen Abstecher zum Tigris Lake, der durch die Aufstauung am Mosuldamm entstanden ist. Jener ist die größte Talsperre des Irak und zählt zu den gefährlichsten der Welt. Nach der US-Invasion haben amerikanische Ingenieure massive Baumängel am Damm aus Saddam's Zeiten festgestellt. Bei einem Bruch bei vollem Füllstand könnte Mosul 20m überflutet werden. Renovierungsarbeiten wurden zwar begonnen, doch seit der Eroberung durch den IS ruht alles. Allerdings ist die Talsperre schon lange nicht mehr voll. Wir fahren knapp anderthalb Kilometer über den Seeboden, bevor wir das Ufer erreichen. Im vergangenen Jahr ist aufgrund des niedrigen Füllstandes eine 3400 Jahre alte Stadt aus dem Mittani-Reich wieder aufgetaucht. Leider konnten wir sie nicht besuchen, da der Wasserstand seitdem wieder ein bisschen gestiegen ist.



https://uni-tuebingen.de/universitaet/aktuelles-und-publikationen/newsfullview-aktuell/article/3400-jahre-alte-stadt-aus-dem-tigris-aufgetaucht/









Tigris Lake









Zurück in Dohuk verzichten wir heute mal aufs Essen gehen. Der Basar gibt so viel her: Radieschen, frisches Brot, Trauben, Oliven. Und natürlich Baklava!











Der Irak hat einen katastrophalen Plastikverbrauch. Diese Wasserbecher sind absolut üblich. Bei dem warmen Wetter sind auch mal schnell 10 von den Dingern weg getrunken. Wenigstens wird hier in Kurdistan ein bisschen besser auf die Entsorgung geachtet, als im Restirak.

Kaamos

« Antwort #8 am: 03. Mai 2023, 16:05 »
Freitag, 07.04.2023



Schon eine Woche unterwegs – das kommt mir gar nicht so lange vor. Zumindest wird es mal wieder Zeit für einen Tapetenwechsel. Wir verlassen Dohuk nun endgültig Richtung Osten. Die Landschaft ändert sich rapide, die Berge werden immer höher und man sieht sogar ein wenig Schnee auf den Spitzen. Derweil ziehen sich Mandelplantagen und Weinreben durch die Täler. Einen kurzen Zwischenstopp machen wir an einem von Sadams ehemaligen Palästen, der nun von den Peschmerga als Trainingsbasis genutzt wird. Peschmerga, „die dem Tod ins Auge sehenden“ gibt es schon seit dem Ende des Osmanischen Reiches. Ursprünglich waren es die Kämpfer für die kurdische Unabhängigkeit, eine Partisanenarmee, bzw. der bewaffnete Arm der diversen kurdischen Parteien. Mittlerweile ist es die offizielle Armee des irakischen Kurdistans.

Natürlich waren wir nicht auf dem Kasernengelände, sondern haben nur einen Fotostopp an der Mauer voller Motivationspropaganda gemacht.



















Mandeln








Tanken auf kurdisch  ;D Unser Auto hat zwei Tanks. Die Spritpreise schwanken. Das teuerste, was ich gesehen habe, waren ca. 1.200 Dinar/l (Benzin, 80 Cent). Es gibt auch einige von der Regierung subventionierte Tankstellen, da zahlt man nur 850 D/l. Da steht aber dann auch schonmal eine Schlange an, die locker den Kilometer erreicht.









Kurz danach erreichen wir Amediye/Amedi. Die Stadt in den Wolken ist knapp 5.000 Jahre alt. Wir schlängeln uns enge Serpentinen hoch für einen spektakulären Ausblick auf das Plateau. Ein pittoreskes mittelalterliches Stadtbild, wie man es vielleicht von Europa erwarten würde, gibt es zwar nicht, aber das tut dem Ort keinen Abbruch. Im Laufe seiner Geschichte hat Amedi alle Religionen beherbergt. Die Moschee, die wir besuchen, war früher wohl eine Synagoge oder eine Kirche. So sicher ist man sich nicht mehr. Von der alten Festung steht nur noch ein Tor, welches gerade Restauriert wird. Den parthischen Torwächter erkennt man aber noch gut. Man erzählt sich, die drei Weisen aus dem Morgenland sollen eigentlich aus Amedi stammen.















In der Region hier spürt man den Unterschied in der Mentalität zwischen Kurdistan und Restirak am deutlichsten. Solche Schilder wären im Süden nicht denkbar.








Gegen Mittag erreichen wir dann Barzan. Dies ist der Heimatort und Namensgeber des Stammes der Barzani, der unter den Kurden des Iraks eine führende Position innehat. Masud Barzani war bis 2017 Präsident Kurdistans und seitdem ist sein Sohn Ministerpräsident. Masuds Vater, Mustafa Barzani, war 1946 bis zu seinem Tod Führer der irakischen Kurden. Hier ist der kurdische Wille zur Unabhängigkeit besonders ausgeprägt. Daher hat 1961 die irakische Luftwaffe einige Dörfer der Umgebung zerstört und 1983 ca. 8000 Mitglieder des Barzani-Stammes deportiert und teils ermordet. Wir schauen uns die Gedenkstätte für die Vorfälle 1983 an.



So ganz kommt die Anlage aber gar nicht zur Geltung. Aus der Luft betrachtet stellt sie eine Tulpe dar, sowie eine Tulpenzwiebel. Die Hintergründe habe ich noch nicht im Detail recherchiert, aber die Bergtulpe muss wohl ein Symbol für die Region sein.













Nach dem Moment der Stille neben all den Gräbern lotst uns Karwan in ein kleines Tal und packt eine Wassermelone aus - Zeit für ein Picknick. Wir sind im Zoragvan Nature Reserve. Zwischen knorpeligen Bäumen fließt eigentlich ein Bach, doch der versickert schon auf halber Strecke. Wäre nicht gerade Ramadan, kämen viele zum Picknicken hier her, besonders freitags. Doch jetzt haben wir das idyllische Fleckchen für uns allein.







Zoragvan Valley Nature Reserve







Geli Ali Beg Wasserfall





Im Anschluss geht es über viele Serpentinen in die Berge. Es bleibt aber grün, Bäume fällen ist verboten. Die Strecke ist Anspruchsvoll, rechts und links türmen sich die Felswände auf. 1928-32 wurde hier die Straße von Erbil bis an die persische Grenze errichtet. Die nach ihrem Erbauer, einem neuseeländischen Ingenieur, benannte Hamilton Road ist eine Meisterleistung. Sie schlängelt sich durch enge Schluchten, sie sich durch enge Schluchten, überhängende Felswände auf der einen Seite, rauschendes Wasser auf der anderen.

Mitten in den Bergen erreichen wir das Provinznest Soran. Unser Hotel hat eigentlich einen bombastischen Blick, aber es ist sehr abgewohnt. Es wurde während Corona als Quarantänestation genutzt. Wahrscheinlich gingen die „Gäste“ nicht sonderlich pfleglich mit allem um.







Soran Palas Hotel. Der Blick hat schon was für sich! In den Hütten sitzt man dann abends zum Rauchen und Domino spielen.



Zum Iftar gibt es heute Tashreeb. Das Auge isst hier nicht so ganz mit, aber der Gaumen freut sich. Es ist ein Lammfleisch-Brot-Eintopf.





Samstag, 08.04.2023



Heute geht es statt in die Historie mal „nur“ in die Natur. Die hat es aber in sich. Von der Hamilton Road habe ich ja schon berichtet. Nach dem Frühstück fahren wir auf ihr nun weiter Richtung iranische Grenze. Die Berge werden immer höher, die Hänge bleiben Grün und ab und an blitzt schon ein wenig Schnee durch. Ganz ohne Geschichte geht es aber doch nicht, daher sei mir noch die kurze Anmerkung gestattet, dass der Rawanduzpass im Zagrosgebirge schon seit alters her eine wichtige Verbindung in den Iran ist. Der Perser Kyros II. hat auf diesem Weg Babylonien erobert. Bis 1981 befand sich auf dem Pass die 2.900 Jahre alte Kel-i-Schin-Stele, mit deren Hilfe die urartäische Sprache entschlüsselt werden konnte. Mittlerweile befindet sie sich im Iran, aber so weit führt uns unsere Fahrt heute nicht, auch wenn wir die Grenze in der Ferne schon sehen. Im Moment sollte man aber im Grenzgebiet nicht unbedingt wandern gehen.











Das Bergpanorama ist allerdings großartig. Der Blick geht über das Zagros Gebirge bis hin zum Cheekha Dar, dem höchsten Berg des Irak (3611m). Karwan stand schon an der Spitze, aber das wollte er uns dann doch nicht zumuten. Stattdessen schaltet er Allrad zu und auf geht’s. Am Ende werden wir am Gomi Felaw mit einem idyllischen Bergsee belohnt. Und vorm Bergpanorama flattert die kurdische Flagge. So friedlich und still... Aber man sollte nicht zu weit in die Berge wandern: Landminen!










Bergsee Gomi Felaw







Nur ein paar Serpentinen weiter befindet sich Sakran. Das bedeutet betrunken. Der Ort wurde so benannt, weil man trunken vor Glück wird bei der Aussicht. Wir kraxeln über die Felsen, spähen in die Schlucht und freuen uns über Bergtulpen.



Sakran




Gegen Nachmittag sind wir zurück in Rawanduz/Rewandiz/Rwandz/wieauchimmer.

Rawanduz war einst Hauptstadt des kurdischen Emirats Soran. Später fiel es an das osmanische Reich, geriet dann aber zum Zankapfel zwischen Osmanen und Briten. 1922 rief sich hier ein Scheich zum König von Kurdistan aus, das hatte aber keinen Bestand. Mustafa Barzani, der spätere Kurdenführer, war übrigens ein Anhänger besagten Scheichs. Die Stadt hat übrigens ihren Namen vom gleichnamigen Stamm, aus dem auch Sultan Saladin und die Ayyubiden stammen.



Doch wegen all der Geschichte sind wir gar nicht hier, sondern wegen der Rawanduzschlucht. Die gräbt sich hier spektakulär in die Felsen. Ein wenig erinnert es mich an Constantine/Algerien. Zu Zeiten der arrangierten Ehen war dies ein beliebter Ort für Selbstmorde.



Rawanduz-Schlucht






Bekhal Wasserfall. Hier reiht sich ein Restaurant neben das andere. Zu Nichtramadanzeiten ist hier mit Sicherheit viel los.





... man kann dann auch gern die Sommerrodelbahn 100m über den Abhang nehmen.




Der Blick von oben zeigt die Hamilton Road noch in einer anderen beeindruckenden Perspektive.




Heute gibt es Chicken Kebab. Die Linsensuppe rechts im Bild ist auch eine Art Grundnahrungsmittel. Die gibt es jeden Abend dazu. Und zum Frühstück meist auch. Und zum Mittag...


Kaamos

« Antwort #9 am: 03. Mai 2023, 16:21 »
Ostersonntag, 09.04.2023



Das Frühstücksrestaurant sieht heute noch genauso aus wie gestern – und das meine ich auch so. Die Tische wurden mit Sicherheit nicht gewischt und wahrscheinlich ist es auch noch das gleiche Buffett. Das ist schade um den Eindruck, denn bisher waren alle Hotels sehr bemüht. Aber glücklicherweise war dies auch unsere letzte Nacht in Soran. Ein letztes Mal geht es noch durch die Schlucht der Hamilton Road, bis wir nach Süden abbiegen.




Nach einiger Zeit erreichen wir Shaqlawa. Die Kleinstadt hat eine nette Fußgängerzone, auch wenn es für geöffnete Läden noch etwas zu früh ist. Zudem ist heute nicht nur Ostersonntag, sondern auch Baghdad Liberation Day, ein Feiertag in Kurdistan. Am 09.04.2003 sind die amerikanischen Streitkräfte in Bagdad einmarschiert und haben das Regime Saddam Husseins beendet. Shaqlawa ist berühmt für Süßigkeiten und Baklava – und so freuen wir uns natürlich, dass sich doch noch ein offenes Geschäft finden lässt, in dem wir unsere Dinare lassen können.








Danach müssen wir einen kurzen Zwischenstopp in einer Werkstatt einlegen. Ein Loch im Reifen muss geflickt werden. Aber das ist nur eine Sache von 20 Minuten und schon kurz darauf biegen wir ab in die Natur. Habe ich schon einmal erwähnt, dass Frühling die beste Jahreszeit für die Region ist? Es blüht überall: Raps, Anemonen – es ist einfach idyllisch hier.







Einen großartigen Blick auf die weite Landschaft haben wir von den Ruinen der Burg von Dwin aus. Die strategisch auf einem Felssporn gelegenen Mauerreste gehörten einst Saladins Großvater Jalaluddin und waren das Zentrum des Fürstentums von Soran. Heute wirken die Überreste sehr verlassen, weit und breit ist kaum ein Lebenszeichen zu sehen. Abgesehen von den Hunderttausend Schafen, die wir im Tal in der Nähe einer Schwefelquelle treffen. Die Schäfer wundern sich, warum die bescheuerten Touristen die Tiere filmen und fotografieren. Unser Guide lacht nur, sowas gibt’s bei uns in England/Österreich/Deutschland nicht. Das reicht dem Schäfer als Erklärung. Verkauft wird übrigens nach Gewicht: 8000 IQD/kg. Die Schafe natürlich, nicht der Schäfer.




Dwin Castle








Die Ohren!!!  ;D


Ein Stück weiter entlang der Hauptstraße finden wir etwas später die Burg von Khanzad. Khanzad war im 15. Jh. eine Prinzessin aus dem Emirat Soran, Schwester eines damals legendären Kurdenführers. Später regierte sie selbst sieben Jahre lang und wurde für ihre Intelligenz, Tapferkeit und Kühnheit gerühmt. Mehr als einen Blick von der Zitadelle bekommen wir aber nicht geboten, das Tor ist verschlossen.




Weit ist es jetzt nicht mehr bis zur Hauptstadt Kurdistans: Erbil. Die Kurden nennen sie Hewlêr. Auch wenn man es überhaupt nicht erkennt, ist der kurdische Name wohl nur durch Lautverschiebungen aus Arbel entstanden.



Im Vergleich zu Soran, sind wir im Erbil Quartz Hotel in einer anderen Welt. Es gibt sogar einen Dachpool. Und der Blick über die Dächer Erbils ist atemberaubend. Dennoch fällt auch hier der Strom regelmäßig aus. Viel unternehmen wir heute nicht mehr, alle sind etwas geschafft. Die Klimaanlage unseres Guides bis Mosul hat mich etwas verschnupft zurückgelassen, was ich dann gern geteilt habe. Für ein gutes Abendessen ist aber noch Zeit. Allerdings merkt man, dass man in der Hauptstadt ist - die Preise haben sich verfünffacht: 15 statt 3€ fürs Abendessen. Ich hatte Maqlooba. Reis, Fleisch und Gemüse werden geschichtet und dann auf einen Teller gestürzt.





Erbil One Tower (oder kurz: E1). Das höchste Gebäude Kurdistans. Mit seinen 180m ragt er schon tagsüber prominent aus dem Häusermeer Erbils empor, doch nachts ist er noch einmal ein Schauspiel für sich.




Ostermontag, 10.04.2023



Starten wollten wir den Tag an der Jalil Khayat Moschee, doch hier standen wir vor verschlossenen Toren. Karwan hatte zwar etwas organisiert, aber so genau nimmt man es nicht immer mit Verabredungen. Also geht es erst einmal Skylinegucken in den Vorstädten. Erbil ist eine Boomtown. Mittlerweile leben hier 1,5 Mio. Menschen und an allen Ecken wachsen Hochhäuser in den Himmel. Empire World ist eines dieser Viertel, aber leisten kann sich die Wohnungen auch nicht jeder. 75 m² kosten ca. 900€/Monat.





Ich habe nicht so viel davon, durch die leeren Hochhausschluchten zu schlendern, aber ich kann natürlich verstehen, wenn Karwan vorführen möchte, wie modern und weltstädtisch seine Heimat auch sein kann. Für mich war es aber eher ein Kulturschock zu den nahöstlichen Städten der letzten Tage. Da hat es mir dann schon wieder besser gefallen, als es zurück ins Zentrum ging, wo sich rund um die Zitadelle der Basar erstreckt. Ein besonderes Erlebnis ist der Geldwechslermarkt. Die sitzen da einfach mit ihren kleinen Tischchen, neben sich die Geldbündel türmeweise gestapelt. Das Vertrauen, nicht überfallen zu werden, ist bemerkenswert. Aber es sind ja auch 1001 Auge um einen herum. Und Überwachungskameras gibt es auch ausreichend.





Money Market. In Erbil gibts eine ganze Sraße, wo ein derartiger Stand neben dem anderen steht.







Der restliche Basar bietet aber auch Souvenirs für jeden Geschmack.





Erbil Grand Basar



Etwas weniger quirlig geht es im Grand Basar zu, dem überdachten Basar. Es ist sauber und aufgeräumt, ein großer Gegensatz zu dem, was ich bisher im Irak gesehen habe. Über all dem thront die Zitadelle, wie die Spinne mitten im Netz, wenn man sich den Stadtplan von Erbil anschaut. Die kurdische Hauptstadt ist eine der ältesten Städte der Welt. Es gibt sie bereits knapp 8.000 Jahren, schriftlich erwähnt wurde sie erstmals vor ca. 4.000 Jahren. Die Zitadelle, auf einem Hügel gelegen, ist die ursprüngliche Stadt. Noch in den 1930er Jahren war sie nur von Feldern umgeben. Davon sieht man heute im ausufernden Häusermeer überhaupt nichts mehr. Nachdem sie lange Zeit verfiel, kommt die Sanierung nun langsam voran. Dafür wurden die Bewohner umgesiedelt - mit Ausnahme einer Familie, um die 8.000jährige Siedlungsgeschichte nicht zu unterbrechen. In der Zitadelle sucht man aber vergeblich nach orientalischem Treiben. Vielleicht kommt es nach der Sanierung zurück. Nur ein paar Museen locken die wenigen Touristen an. Wir besuchen das kurdische Textilmuseum.





Erbil. Shar Park am Fuße der Zitadelle. Die Brunnen gibts schon länger, aber gerade werden sie umgebaut, damit daraus ein Licht-und-Sound-Spektakel wird.





Zitadelle Erbil - 8.000 Jahre Siedlungsgeschichte.






Kurdisches Textilmuseum



Danach gibt’s noch einen Tee am Fuße der Zitadelle, bevor es zum Shanidar Park geht. In einer gleichnamigen Höhle im Park wurden Überreste von Neandertalern gefunden. Die sehen wir nicht, dafür aber die grüne Lunge der Stadt. Der Park wird von einer Seilbahn mit dem auf der anderen Straßenseite liegenden Minarett-Park verbunden, aber weil es ziemlich windig ist, fährt sie nicht.

Der Minarett-Park ist nach den Resten eines – Überraschung – Minaretts aus dem 12. Jh. benannt. Die von einem Schwager Saladins errichtete Moschee existiert allerdings nicht mehr.







Die Jalil Khayat Moschee hingegen steht noch immer. Nachdem sie erst 2007 fertiggestellt wurde, wäre alles andere auch seltsam – zumal die größte Moschee Erbils von einem reichen Bauunternehmer gestiftet wurde. Die Hauptkuppel hat eine Höhe von 48m und der Innenraum ist wunderschön gestaltet. Und glücklicherweise öffnet sie extra für uns noch einmal dir Türen.






Wenig experimentierfreudig geht es heute Abend ins gleiche Restaurant wie gestern. Aber diesmal liegt Saj Kebab auf dem Teller – Das Fleisch ist ins Brot eingewickelt. Den restlichen Abend verbringen wir erst mit Tee am Hotelpool und dann am offenen Fenster mit Blick auf den E1-Tower, der sich heute ganz bewegt präsentiert.




https://www.youtube.com/watch?v=NTr8tYCkNFI

Kaamos

« Antwort #10 am: 03. Mai 2023, 16:38 »
Dienstag, 11.04.2023



Heute ist die Stimmung nicht ganz so gut. Unser Gefährt muss leider getauscht werden, das Getriebe macht Probleme. Also steigen wir auf Karwans Toyota Camry um, was leider eine deutliche Verschlechterung darstellt, da sich drei auf die Rückbank quetschen müssen. Und natürlich haben wir dadurch auch an Geländegängigkeit eingebüßt. Einen Punkt unseres Planes werden wir deshalb wohl streichen müssen, was insbesondere meinen Engländer sehr ärgert, da seine Geländegängigkeit und Fitness fürs Streichen vorgeschoben werden. Spoiler: am Ende werden alle glücklich.


Aber jetzt starten wir erst einmal und verlassen Erbil wieder Richtung Osten, nach Koy Sanjaq. Die Stadt, die auch Koya genannt wird, hat viele Künstler hervorgebracht und ist deshalb auch als Stadt der Poeten bekannt. U.a. Yûnis Re'ûf (Dildar), der Schöpfer der kurdischen Hymne stammt von hier, wie auch Haji Qadir Koyi, der Architekt des kurdischen Nationalismus. Wir besuchen ein Fort aus osmanischer Zeit mit einem kleinen Heimatmuseum. Das ist als Ersatz für den weg gefallenen Punkt gedacht, stellt aber nicht so ganz zufrieden. Allerdings geraten wir in einen Schulausflug hinein. Ich glaube das Gesprächsthema der nächsten Tage werden weder Hymne noch Nationalismus sein, sondern die vier Touristen. Und Datenschutz? Fotoerlaubnis? DSGVO? Who cares? Die Gruppenbilder der Schüler mit den Wildfremden übernimmt der Klassenlehrer höchstpersönlich.







Koy Sanjaq. Meine neue Klasse im Osmanischen Fort.



Unterwegs geht es wieder durch die Berge. Nicht ganz so hoch wie die letzten Tage, aber auch mit schönen Ausblicken. Nur etwas diesig ist es. Wir warten auf den angekündigten großen Regen. Zumindest vom Temperatursturz ist noch nichts zu merken.

An den Straßenrändern steht auch wieder gallonenweise Sprit. Der wird über die Grenze aus dem Iran her geschmuggelt. Auf dem Rückweg wird dann Alkohol mitgenommen.




Sprit in Flaschen.




In einem malerischen Tal bei Qizqapan gelegen finden wir wieder ein Felsengrab. Wer genau hier liegt, lässt sich nicht mehr sagen, aber die Legende lautet, dass ein Mann aus dem einfachen Volk mit der Tochter eines Adeligen durchgebrannt ist und beide hier ihre letzte Ruhestätte fanden. Das Grab stammt wohl aus der Zeit zwischen 600-330 v. Chr. Nachdem viele Sprayer hier ihr Unwesen getrieben haben, ist es jetzt mit einem unansehnlichen Gitter geschützt.




Felsengrab von Qizqapan







Nicht ganz so weit zurück in der Geschichte führt uns Chami Rezan, nur ein paar Seitentäler weiter. Die Einheit des Iraks mit Kurdistan ist ein schweres Erbe, dass die Mandatsmächte nach der Zerschlagung des osmanischen Reiches hinterlassen haben. Die Kurden wollen ihren eigenen Staat und die Araber wollen sie nicht ziehen lassen. 1961 kam es kurz nach dem Sturz des irakischen Königshauses zum ersten irakisch-kurdischen Krieg, nachdem die eigentlich versprochene Autonomie doch nicht gewährt wurde.



Die kurdischen Kämpfer machten sich die Geographie zu Nutze und verbargen sich im Schutz der Berge und Höhlen. Die Sahra Höhle in Chami Rezan war das Hauptquartier des 'Voice of Kurdistan' Radiosenders. Zur Ruhe gekommen ist Kurdistan seitdem aber immer noch nicht. Es folgt noch ein zweiter Kurdenkrieg in den 1970ern, eine Revolte 1991 und ein Unabhängigkeitsreferendum 2017. 92% stimmten für die Unabhängigkeit, aber der Irak erkannte das Referendum nicht an. Es kam wieder zu Kämpfen, in deren Folge Kurdistan u.a. Kirkuk verloren hat.

Um zur Sahra Höhle zu gelangen müssen wir wieder ziemlich klettern. C. und J. tun sich das heute nicht an. Oben angekommen muht uns schon ein Echo entgegen - eine Kuhherde hat es sich in der Höhle gemütlich gemacht.


Am Nachmittag erreichen wir Sulaymaniyah/Slemani. Unser Hotel befindet sich diesmal mitten im Basar, in den ich nach einer kurzen Verschnaufpause auch gleich zusammen mit der Österreicherin eintauche. Es ist bis jetzt einer der größten und verwinkeltsten, die ich kenne. An jeder Ecke gibt es etwas zu gucken, egal ob Gewürze, Obst, Stoffe, Wasserhähne oder Schafsköpfe. Die Goldstraße ist einige Dutzend Meter lang. Hier kann man echt die Zeit vertrödeln. Und wir kommen doch tatsächlich auch an der Pizzeria „Zur blauen Donau“ vorbei. Klar, dass da mit der Österreicherin ein Foto gemacht werden muss. Daraufhin lädt uns der Inhaber, der nach 20 Jahren in Wien zurück in die Heimat gekommen ist, zum Tee ein und wir unterhalten uns eine knappe dreiviertel Stunde.







Sulaymaniyah




Der Basar von Slemani gilt als der Beste in Kurdistan.





2015 gingen die Bilder eines kleinen Jungen im die Welt, der auf der Flucht vor dem IS im Mittelmeer ertrunken ist. Alan Kurdi war ein syrischer Kurde. Er ist nur 2 Jahre alt geworden. In Sulaymaniyah hat man ihm ein Denkmal gesetzt.



Zum Abendessen gibt es aber keine Pizza. Stattdessen stürzen wir uns heute ins Getümmel. In der Selim Street gibt es auf über einen Kilometer einen Essensstand neben dem anderen, da kann man sich fast nicht entscheiden. Am Ende wird es wieder Lamm mit Falafel. Zum Nachtisch gibt es Kunafa. Käse mit Kadaif (Engelshaar). Göttlich!





Kunafa.




Zum Schluss gibt es noch den kurzen Blick vom Hoteldach, doch die ersten Tropfen kommen schon. Später öffnet der Himmel dann seine Schleusen so richtig. Slemani, auch als Stadt der Winde bekannt, hat übers Jahr in etwa so viel Niederschlag, wie Potsdam. Da zwischen Mai und November aber kaum etwas fällt, ist der Rest umso feuchter. Im Winter liegt oft Schnee, während es im Sommer auch mal 45°C werden können.





Mittwoch, 12.04.2023




Die Laune ist noch nicht wirklich besser, der gestrichene Programmpunkt ist noch nicht überwunden. Ein Vorschlag zur Güte deshalb: wir probieren es und wenn es wirklich nicht klappt, machen wir einen Ausflug nach Halabja. Der Ort an der iranischen Grenze hat am 16. März 1988 traurige Berühmtheit erlangt, als die irakische Luftwaffe einen Giftgasangriff startete. Zwischen 3.000 und 7.000 Menschen starben, die meisten Zivilisten, hauptsächlich Frauen und Kinder. Von den unzähligen Verletzten und Spätfolgen ganz zu schweigen. Schon vorher fanden kleinere derartige Aktionen in der Region statt, die aber bis dahin kaum ein mediales Echo zur Folge hatten. „Chemie-Ali“, Vetter von Saddam Hussein und damals Gouverneur Irakisch-Kurdistans hat die Einsätze angeordnet und wurde 2010 dafür verurteilt und hingerichtet.

Als wenn die Geschichte nicht schon schlimm genug wäre, hat es mich sehr mitgenommen, als vor einigen Wochen die Berichte von den Gasattacken in iranischen Mädchenschulen kamen.



Doch zu Beginn starten wir erst einmal im Slemani Museum, nach dem Nationalmuseum in Bagdad das umfangreichste im Irak. Während draußen die nächste Sintflut beginnt, bestaunen wir die Exponate. Teile des Museums sind schon richtig gut aufbereitet, der Rest hat den Charme vergangener Tage. Wir sehen Exponate aus 20.000 Jahren Geschichte. Auch einen Nachbau des gestrigen Grabes hinter Gittern war zu sehen.








Das Grab von Qizqapan




Eine Tafel des Gilgamesch-Epos. Die älteste bekannte schriftlich festgehaltene Dichtung (ca. 2000-1500 v. Chr.). Besondere Aufmerksamkeit erhielt der Epos bei seiner Wiederentdeckung, da er auch eine Sintfluterzählung beinhaltet. Allerdings nicht auf der Tafel in Slemani.



Passenderweise lacht wieder kurz die Sonne, als wir das Museum verlassen. Also machen wir uns auf den Weg in die Berge um Qaradagh. Die Fahrt bietet wieder tolle Ausblicke und eine schöne Landschaft. Die Wiesen sehen aus wie Teppiche. Wie zu erwarten können wir aber nicht auf den Feldweg zu Naram Sin abbiegen. Zumal der Regen den Boden aufgeweicht hat. Also fahren wir noch bis ein Stück weiter bis Sewsenan, wo Karwan versucht, einen Jeep aufzutreiben. Das dauert eine Weile, aber er hat Erfolg. Und eine polizeiliche Genehmigung für unser Vorhaben gibt es gleich noch oben drauf.




Sulaymaniyah






Sewsenan. Street Art im Bergdorf.






Wir machen es uns also auf der Pritsche des Pickups bequem und düsen dann knapp 15 Minuten die Berge hoch. Das wäre im Camry nicht gegangen. Aber nur fahren wäre ja zu bequem, also wandern wir anschließend noch knapp 20 Minuten. C. & J. müssen geben auf halber Strecke auf, es wird zu anspruchsvoll. Was uns jedoch erwartet, lässt mich staunen. In einem schmalen Tal hängt an der Felswand ein Krieger oder König, der über seine Feinde triumphiert.



Naram Sin (2.254-2.218 v. Chr.) war eigentlich ein König des Akkadischen Großerreiches. Neuere Erkenntnisse gehen aber davon aus, dass das Relief nicht ihn, sondern einen unbekannten König zeigt.

Wer auch immer es ist, allein der Ort lässt mich wundern. Wer schafft so ein Kunstwerk an einer so abgeschiedenen und schwer zugänglichen Stelle? Und warum? Kilometerweit keine Siedlung, das Tal ist eng, steil und ohne Möglichkeit, die einen Handelsweg vermuten lassen könnte. Und zu guter Letzt ist auch die Laune wieder besser, denn wir haben den eigentlich gestrichenen Programmpunkt doch noch abgehakt.

Lange können wir aber nicht verweilen. Es ziehen wieder dunkle Wolken auf. Kaum am Pickup angekommen setzt auch schon der Regen ein. Noch schnell ein paar Fotos mit den Militärs geschossen, die neugierig ob der seltsamen Touristen dazugestoßen sind und dann geht’s auch schon wieder ins Tal. M. & ich bei den Soldaten im Truck, so haben wir wenigstens ein Dach über dem Kopf.



https://www.youtube.com/watch?v=ZtIQTEfRx4Q

https://www.youtube.com/watch?v=-m_KnVuaH4M



Wir sind keine Minute zu früh wieder gekommen. Es stürmt und auf dem Weg zurück nach Sulaymaniyah ist halber Weltuntergang. Zum Glück ist der Basar überdacht, so sind wir den Nachmittag über nicht ans Hotel gebunden. Nur aufs Streetfood am Abend verzichten wir und nehmen mit einem Restaurant vorlieb. Die Straßen sind mittlerweile überflutet und das Wasser weiß nicht mehr wohin.










Ich bin ja ganz oldschool und liebe es, Postkarten zu verschicken. Aber in den Kasten habe ich kein Vertrauen. Zu Recht, wie sich rausstellt. Es findet derzeit kein Auslandsversand von Briefpost statt. Ich habe aber nicht rausbekommen, ob es am Ramadan liegt oder grundsätzlich so ist. Aber schon allein eine Postkarte zu finden war eine halbe Odyssee.




Land unter!



Kaamos

« Antwort #11 am: 03. Mai 2023, 19:06 »
Donnerstag, 13.04.2023​


Den Ersatzprogrammpunkt Halabja haben wir nun gestern doch nicht benötigt. Doch auch ohne das Gasmassaker tauchen wir noch einmal in die grausame der Geschichte der Region ein. Nach dem Frühstück fahren wir zum Amna Suraka in Sulaymaniyah. Amna Suraka ist das „rote Gefängnis“. Das spielt eigentlich auf die Fassadenfarbe an, kann aber sicher auch metaphorisch gesehen werden – für das ganze Blut, was hier geflossen ist. Das Ba‘ath-Regime Sadam Husseins hatte hier das Hauptquartier des Mukhabarat, der Geheimpolizei, die hier gefoltert, vergewaltigt und getötet hat. Besonders zwischen 1986-1991 nahmen die Gräuel neue Ausmaße an, unzählige Kurden und andere Minderheiten des Nordiraks wurden verschleppt. Die Kurden wurden schon lange unterdrückt, doch nun nahm es genozidale Außenmaße an. In den Anfal-Kampagnen wurden über 180.000 Menschen ermordet.




Anfal bedeutet „Beute“ und ist zudem der Titel einer Koransure, die den Sieg über Ungläubige und die Beuteverteilung beschreibt. Mit der Verknüpfung zum Koran hat das Regime die Rechtmäßigkeit seines Vorgehens gegen die Kurden und andere Minderheiten begründen wollen. Attacken, wie in Halabja waren Teil der Anfal-Kampagnen.




Das Gefängnis selbst war aber auch immanenter Teil des Terrorapparates. Faire Prozesse gab es nicht. Stattdessen gehen wir durch die Folterkammern der Anlage.

Neben den Verbrechen des Saddam-Regimes gibt es auch einen Abschnitt über den IS im Museum, inklusive Bildern von Enthauptungen. Es ist so erschütternd und macht sprachlos, wie Menschen anderen Menschen so etwas antun können. Und noch umso mehr, dass die Menschheit daraus nichts lernt.





Terrorregime sind Bürokratien. Das kennen wir ja irgendwoher... Ohne Stempel lief beim IS nichts.


Nach diesen Eindrücken, die unter die Haut gehen, ist die Weiterfahrt erst einmal sehr schweigsam. Das muss verarbeitet werden. Zurück nach Erbil nehmen wir nicht die gleiche Route, wie Anfang der Woche, sondern biegen nach Kirkuk ab. Die Stadt ist Teil des Umstrittenen Gebietes zwischen Kurdistan und Irak. Ihr Ölreichtum macht die Lage nicht einfacher. Nach der US-Invasion hat Kurdistan die Stadt übernommen und gezielt die Araber der Region vertrieben (nachdem das Ba’ath-Regime zuvor im 20. Jh. eine massive Arabisierung betrieben hat und Kurden, Assyrer und Turkmenen systematisch benachteiligte). Das verstärkte sich noch einmal nachdem kurdische Streitkräfte Kirkuk vom IS befreit hatten. 2017 wurde ein Unabhängigkeitsreferendum durchgeführt welches in der Fragestellung auch jene Gebiete einschloss, die außerhalb der Regionalverwaltung liegen, d.h. der umstrittenen Territorien um Kirkuk. Die Folge war, dass in der Schlacht um Kirkuk die irakische Zentralregierung, die das Referendum ja nicht anerkannte, die Region wieder übernommen hat.
Dementsprechend dauert es nun an den Checkpoints auch etwas länger, hier wird genauer hingeschaut, wer die Regionalgrenzen überschreitet. Und immer wieder kommt die Frage: „what are these crazy people doing in this fucking country?!”

Kirkuk streifen wir nur in den Randbezirken und von den Ölfeldern sehen wir kaum etwas, Baba Gurgur leider überhaupt nicht. Letzteres ist ein ewiges Feuer, eine natürliche Erdgasquelle, die es schon seit Nebukadnezars Zeiten geben muss und die auch in der Bibel (Buch Daniel) Erwähnung findet.




Schließlich erreichen wir wieder Erbil, checken ins gleiche Hotel, wie beim letzten Mal ein und verabschieden uns von Karwan. Der übernimmt morgen die nächste Tour. Das wir jetzt auf uns selbst gestellt sind, hält uns doch nicht vom Erkunden ab. Mit dem Taxi geht es kurzerhand nach Ankawa, einem Vorort Erbils. Es ist eine der ältesten christlichen Siedlungen im Irak. Man merkt den Unterschied zum muslimischen Teil der Stadt deutlich. Kirchenglocken läuten, Alkohol wird offen verkauft. Und natürlich gibt es viele Kirchen. Besucht haben wir die St. Josephs Kathedrale, die caldäisch-katholische St. Georgs-Kirche und die Mart-Schmoni-Kirche.



Ankawa. Es gibt zahlreiche Alkoholgeschäfte. Allerdings müssen sie auch hier während des Ramadan geschlossen bleiben.



Die Georgs-Kirche ist eine der ältesten der Region. Auf einer bei Ausgrabungen gefundenen Tafel wird das Jahr 1127 Alexanders des Großen, entsprechend dem Jahr 816 n. Chr. genannt. Bei Mart Schmoni hingegen erwartet uns ein ganz lebendiges Spektakel. Zufällig findet gerade das Festival des aramäischen Erbes statt. Es gibt einen kleinen Markt und Tanzdarbietungen.

https://www.youtube.com/watch?v=s9b4tFnT7Vg

https://www.youtube.com/watch?v=CzHcreHCFe4





Auf Iftar müssten wir hier im christlichen Viertel eigentlich nicht warten, wir tun es aber trotzdem. Allerdings ist unser Eindruck, dass es alle anderen Anwesenden auch tun. Und ich denke nicht, dass es sich um Muslime gehandelt hat. Den Abend lassen wir dann im Teehaus am Fuße der Zitadelle ausklingen. Es ist ziemlich frisch geworden, da tut der heiße Tee gut. Zu Fuß geht es zum Hotel zurück - ca 15 Minuten durch dichtes Gedränge und geschäftiges Treiben. Hochgeklappte Bürgersteige gibt's hier nicht.





Freitag, 14.04.2023​

Nach dem vollen Programm der vergangenen Tage fällt unser letzter Tag in Kurdistan etwa gemütlicher aus. Heute dürfen wir ausschlafen und auch beim Frühstück gibt es keine Eile. Zu Fuß machen wir uns anschließend auf den Weg ins Zentrum. Heute ist Freitagsmarkt angesagt - mein Gott, ist das ein Gedränge! Los geht's beim Tiermarkt, wo es von Hühnern, Truthähnen und Küken über Gänse bis hin zu Kaninchen, Ziegen und Schafen alles Mögliche gibt. Der Markt bietet natürlich noch mehr und zieht sich bis hin zur Zitadelle. Dinge, die wir schon längst weggeschmissen hätten, bekommen hier eine zweite, dritte oder vierte Chance.





Nach dem ganzen Gucken gönnen wir uns noch einen kurdischen Kaffee im Basar. Währenddessen zieht auch der Regen durch, sodass wir uns darum keine Gedanken machen müssen.



Unser Spaziergang führt uns wieder zum Minarettrest von Saladins Schwager. Wir umrunden erst den halben Park, ohne einen Eingang zu finden, also klettern wir kurzerhand über den Zaun. Von dort aus geht es weiter zum Erbil 1 Tower. Eine von weitem grimmig aussehende Wache, die sich als sehr nett und hilfsbereit entpuppt, versucht uns den Zugang zum Rooftop zu ermöglichen, aber die Aufzüge haben gerade keinen Strom. Morgen sollen wir noch einmal wieder kommen. Nur leider sind wir dann schon weg.




Also noch ein bisschen Sonnenbaden im Hotel, bevor wir uns kurz vor Iftar auf die Suche nach etwas essbarem machen. Gleich um drei Ecken neben dem Hotel ist eine belebte Restaurantmeile. Da finden auch wir unser letztes Mahl. Natürlich Kebab – das bisher beste in Kurdistan!




Samstag, 15.04.2023

Kurz nach Mitternacht bringt uns ein Taxi zum Flughafen. Drei Sicherheitskontrollen später sitzen wir dann am Gate und hauen die letzten Dinare für einen Tee auf den Kopf. Beim Start kann ich einen Blick auf die Zitadelle erhaschen, bzw. auf das schwarze Loch im Lichtermeer. Auch Mosul und Duhok sind zu sehen. Ansonsten ist der Flug mit Turkish Airlines erfreulich unspektakulär und ich bekomme ein wenig Schlaf.

Zum Taxi sei noch zu sagen: wir hatten den Premium-Service. Der hat uns direkt zu Terminal gebracht, war aber etwas teurer (10€ p.P.). Mit dem normalen Taxi kommt man nur bis zum Flughafencheckpoint. Von dort aus fahren Shuttle zum Terminal.



In Istanbul mache ich noch eine von den kostenlosen Touren von Turkish Airlines mit, weil meine Umsteigezeit ausreichend lang ist, aber da das nicht mehr wirklich zu Kurdistan gehört, lasse ich das jetzt hier mal weg.

Damit wäre ich jetzt fertig :)

Svenja

« Antwort #12 am: 05. Mai 2023, 15:01 »
Vielen Dank für die interessanten Einblicke! Ein toller Bericht und eine außergewöhnliche Reise  :)

Nocktem

« Antwort #13 am: 05. Mai 2023, 16:31 »
top bericht wie immer von dir, freut mich immer was neues zu lesen vorallendingen von gegenden die weniger stark bereist sind. danke dafür!!

Surfy

« Antwort #14 am: 13. Mai 2023, 14:48 »

Vielen Dank für diesen tollen Reisebericht - super spannend!

Surfy

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